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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einer entblößten Brust ersparte, was man von den meisten Häusern hier nicht behaupten konnte. Dennoch war es nicht unelegant. Eine jede Kante war leicht abgerundet, so daß das Massige und Robuste eine fließende, marine Qualität erhielt.
    Kein Wunder, daß die Nachbarn dieses Haus nicht mochten, welches ihnen so überaus wehrhaft und verschlossen erschien. Aber wehrhaft auf hohem ästhetischen Niveau. Der Architekt hatte es Anfang der Dreißigerjahre für sich selbst errichtet, bald aber seine Freude daran verloren und es der Freifrau verkauft, die sich wiederum gerne von einer zuvor ererbten Immobilie getrennt hatte, um sich den »Bunker« am Roseggerweg leisten zu können. »Bunker«, so hatten die Nachbarn das Gebäude bezeichnet. Und weil Frau von Wiesensteig um das Raffinement der Vereinnahmung von Begriffen wußte, hatte sie begonnen, selbst von ihrem Haus als vom »Bunker« zu sprechen. Auch dann noch, als der Krieg begann und es sich in den Augen der Leute von selbst verbat, ein solches Wort zu mißbrauchen, um damit eine modernistische Villa zu etikettieren. Doch das hatte die Freifrau nicht gekümmert. Ihr heiterer Zynismus war ständig ungebrochen geblieben. Auch in der Zeit, als die Nazis sie verhaftet und für ein halbes Jahr ins Gefängnis gesteckt hatten.
    Drei Jahrzehnte später erklärte sie in einem Radiointerview, ihre Verhaftung sei auf ein Mißverständnis zurückzuführen gewesen. Sie habe gewiß nicht ernsthaft gegen die Nazis opponiert und würde es folglich als degoutant empfinden, nun als Mitglied des Widerstands geführt zu werden. Das Interview wurde nie gesendet.
    Mortensen öffnete das Gittertor und trat den schmalen Steinweg auf das gestreckte Gebäude zu, das mit seiner Längsseite quer zum Roseggerweg stand. Über einen kleinen, tunnelartigen Vorbau gelangte Mortensen an die Eingangstüre, die er aufschloß. Es war jetzt exakt zwei Uhr. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen, Frau von Wiesensteig könnte im Hause sein. Das war noch nie der Fall gewesen, wenn er seinen Job antrat.
    Ein Vorraum existierte nicht, weshalb der Eintretende sogleich in einen Saal gelangte, der die gesamte Länge des Untergeschosses einnahm. Die Mitte des Raums beherrschte ein dunkler, völlig leerer Holztisch, um den herum mehrere ebenso hölzerne und dunkle Stühle gruppiert waren. Am hinteren Ende wuchs turmartig ein offener Kamin in die Höhe, der aus den gleichen Steinen gebaut worden war, welche die Fassade bestimmten und aus denen auch die Innenwände – wenngleich um eine Spur glatter, heller und rötlicher – bestanden.
    Der Kamin, der mit seiner Rückseite ins Freie hinausragte, verfügte über eine ruhende Glut. Zudem trennte der Ofen die beiden wandhohen Fenster, durch die man auf das Grundstück sah. So groß diese Scheiben auch waren, blieben sie andererseits die einzigen im Raum. Ausgenommen ein winziges Rundfenster in der Eingangstüre. Was Mortensen manchmal das Gefühl gab, im Inneren eines Teleskops zu hocken.
    Noch bevor er sich seiner nassen Kleidung entledigen konnte, erschien April und strich um seine Füße. Mortensen tat, als bemerke er das Tier nicht, und breitete eine Zeitung auf dem Boden aus, um darauf seine Schuhe abzustellen. Die Katze ließ sich dadurch nicht stören, auch nicht, als er ihr unabsichtlich auf den Schwanz stieg. Sie sprang bloß kurz zur Seite und kam gleich wieder zurück. Dabei gab sie keinen Ton von sich, so, als respektiere sie die Folgen ihrer Aufdringlichkeit. Dann endlich sah Mortensen das Tier an und sagte: »Hau ab, du siamesische Plage!«
    April begann zu schnurren. Dabei war sich Mortensen sicher, daß April – April, die Gewitzte – den aggressiven Ton durchaus registriert und ihn folglich verstanden hatte. Nun, er würde sich eben auch diesmal damit abfinden müssen, daß diese Katze es meisterlich verstand, Aversionen zu ignorieren, und daß es also nicht genügen würde, Dosen zu öffnen und das Streu zu erneuern. April wollte ihr Spiel. Und ihr Spiel war es, die Verschmuste zu markieren. Gegen jede Unfreundlichkeit. Wie in einer abstrusen Form von Krieg.
    Mortensen wechselte seine Hose und schlüpfte in ein frisches Hemd. Dann legte er Holzscheite auf die Glut und schwenkte eine zusammengefaltete Zeitung. Rasch sprang ein neues Feuer in die Höhe.
    Eine Weile sah Mortensen in die Flammen, so bewegungslos wie April, die gleich einem schräg gestellten Möbelstück gegen sein Bein gelehnt war. Dann lösten sich beide aus ihrer skulpturalen

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