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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ablehnungswürdig; nicht als Frau, sondern als Mensch. Der freie Mensch kochte nicht, der freie Mensch besuchte Restaurants. Nur natürlich also, daß Frau von Wiesensteig Restaurants zu den größten Kulturleistungen überhaupt zählte. Während sie es andererseits als eine unsägliche Schande empfand, daß nicht jeder Mensch Anspruch auf einen Restaurantbesuch täglich hatte. Ihr Sozialismus war ein ungewöhnlicher. Ein merkbar aristokratischer. Jedenfalls ein origineller. Und wenn irgendjemand sie auf die pekuniären Schwierigkeiten ansprach, die eine Umsetzung ihrer idealen »Restaurant-Welt« mit sich bringen würde, sagte sie immer nur: »Das können wir uns leisten.« Das war eine banale, eigentlich schon ungehörige Antwort. Aber in der Art, wie sie es sagte, klang es, als habe sie einfach recht.
    Nun, derartiges kommt vor. Weit erstaunlicher war, daß es sich bei dem der Küche gegenüberliegenden Seitentrakt um eine ehemalige Kapelle handelte. Der Architekt war ein leidenschaftlicher Katholik gewesen und hatte es für selbstverständlich erachtet, zumindest einen Raum in diesem Haus der Andacht zu widmen. Die Freifrau hatte jedoch mit der ihr eigenen Respektlosigkeit die Kapelle »ausmisten« lassen, so daß nur noch die wellenartig geschwungenen, bläulich schimmernden Wände sowie die kleinen, abstrakt gestalteten Glasfenster übrig geblieben waren.
    So eckig und kantig die Küche anmutete, so rund und organisch wirkte die Kapelle, die nun keine Kapelle mehr war, sondern zu einer Kombination aus Arbeitszimmer und Fernsehraum umgebaut worden war. Der christliche Charakter war durch einen privatreligiösen ersetzt worden. In jedem Fall besaß dieser Ort einen hohen Grad an Gemütlichkeit. Mehrere Teppiche nahmen das Muster der Glasfenster auf. Auf dem leicht gebogenen Lacktisch spiegelten sich kleine Holzplastiken, stilisierte Tierfiguren, überragt von einer alten Schreibmaschine, die zusammen mit dem flachen Computerbildschirm an ein merkwürdig ungleiches Liebespaar denken ließ (und genau aus diesem Grund nannte die Freifrau ihren Arbeitsbereich Simone & Jean-Paul , manchmal auch Marilyn & Arthur , wobei sie nicht weiter überlegte, wer hier für den dürren Monitor und wer für die siebzig Jahre alte Remington Pate stand).
    Für Mortensen hingegen bestach vor allem der Fernsehstuhl, ein aus roten, wurstartigen Lederelementen zusammengesetztes Objekt. Wobei der Begriff »Wurst« der Eleganz dieses Möbels widersprach, nicht aber der Bequemlichkeit, die sich für eine Person ergab, die zwischen diesen Würsten eingebettet saß.
    Und genau in diesen Stuhl, der wie alles hier den leicht abgegriffenen Charme der Antiquität besaß, hatte sich Mortensen niedergelassen, nahm nun die Fernbedienung vom Teetisch und schaltete das Fernsehgerät an, das wie ein großer Buddha auf einem Lacksockel thronte. Mortensen ging die ganze Reihe von Kanälen durch, mehrmals vor und zurück. Noch war er halb dem Schlaf verhaftet und benötigte eine ganze Weile, bevor er den Sender fand, der von dem »Stuttgarter Mord« berichtete, der »momentan großes Rätselraten auslöse«. Im Grunde stellte sich die junge, etwas gar zu zappelige Moderatorin dieselbe Frage, die sich Mortensen gestellt hatte: Wie konnte jemand etwas derartiges tun? Hilflos blinzelte sie in die Kamera und erklärte, daß ihr Kollege Adrian Sowieso im folgenden Filmbericht versuchen werde, ein Licht auf die Hintergründe der Tragödie zu werfen. Nach einer kurzen Intro war sogleich das Haus zu sehen, in dem der Mord geschehen war. Mortensen erkannte es kaum, wohl der Kameraeinstellung wegen, die versuchte, die Fassade höher und zudem geneigt erscheinen zu lassen – bedrohlich, so eine Art schiefer Turm von Stuttgart. Ein Mann mit Mikro trat ins Bild, wirkte für einen Moment ebenfalls wie ein schräg gestelltes Gebilde. Dann rückte die Kamera ihn zurück in die Senkrechte. Er sprach mit leiser, aber deutlicher Stimme: »Dies ist das Haus, in dem der vierundzwanzigjährige Thomas Marlock Opfer eines schrecklichen Verbrechens wurde. Wer kann oder will sich vorstellen, was in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in den beiden Räumen der Junggesellenwohnung geschah?«
    Was sollte denn das heißen?
    Gar keine Frage, der Voyeurismus des Publikums war so legitim wie verständlich. Ebenso das Bemühen einer Fernsehanstalt, ihn zu befriedigen. Aber genau diesen Voyeurismus gleichzeitig für unmöglich zu erklären war doch ein wenig dreist. Was nichts daran

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