Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
änderte, daß der Reporter nun einige Hausbewohner nach der Person des Opfers und möglichen Hintergründen befragte. Der allgemeine Tenor bestand darin, daß Marlock einen gepflegten, unverdächtigen Eindruck hinterlassen habe, jeden Tag zur selben morgendlichen Stunde in die Arbeit gefahren sei und weder durch ein suchtartiges Verhalten noch durch nächtliches Duschen aufgefallen wäre.
    Nun, das mochte richtig sein, eignete sich aber schwerlich, um ein solches Verbrechen zu begründen. Denn Zufälle gab es nicht, nicht für die Leute vom Fernsehen, die sich das Leben als ein zwar geheimnisvolles, doch im Grunde sehr ordentliches Gespinst vorstellten, in welchem Täter und Opfer wie die benachbarten Teile eines Puzzles ineinandergriffen und sich die Unschuld bloß als Abdruck der Schuld erwies. Weshalb der Reporter nachhakte und aus einer eifrigen Endfünfzigerin die Bemerkung herausholte, ihr sei aufgefallen, daß Marlock so gut wie nie Damenbesuch erhalten habe.
    Die interviewte Frau verhielt sich durchaus korrekt, konstatierte nichts anderes als die eigene Beobachtung, ohne daraus irgendeinen Schluß zu ziehen. Auch der Reporter zog keinen Schluß, man vernahm bloß einen unartikulierten Ton, den er ausstieß: ein tönendes Aufhorchen. Dabei schaute die Dame irritiert in die Kamera, lächelte dann ein wenig verzweifelt und komplettierte ihre Aussage, indem sie meinte, sie habe das Fehlen von Damenbesuchen bisher eigentlich immer als ein gutes Zeichen angesehen.
    Schnitt!
    Der Leiter der Ermittlungen trat ins Bild. Währenddessen konnten sich die Zuschauer darüber Gedanken machen, daß es also vielleicht doch kein so gutes Zeichen war, wenn junge männliche Mieter ohne die obligaten Damenbesuche auskamen. So sehr das im Prinzip wünschenswert erscheinen mochte, war es dennoch nicht als normal zu werten. Damenbesuche gehörten dazu, ob geduldet oder nicht. Die Potenz eines vierundzwanzigjährigen Programmierers bedenkend, mußte der Damenbesuch geradezu als Maxime gesehen werden.
    Das war freilich nicht das Thema des Hauptkommissars, der sich Spekulationen dieser Art verbat, noch bevor der Reporter offiziell zu spekulieren begonnen hatte. Aber der Kommissar ahnte ja, was sich die Leute vom Fernsehen ausgedacht hatten. Doch sein Ansatzpunkt war die Verbindung zum Heidelberger Fall. Man konnte den Eindruck bekommen, daß der Kommissar dieses Heidelberg besonders schätzte und sich auf die Tage freute, die er aus Recherchegründen in der Universitätsstadt zubringen würde. Überhaupt erweckte er den Eindruck eines zufriedenen, heiteren Menschen, der an einem abgeschnittenen Kopf mehr Interessantes denn Schreckliches fand. Er sprach von einem »besonderen Kasus«.
    Mortensen fragte sich, ob der Kriminalist den lateinischen Begriff aus einer simplen Laune heraus verwendet hatte, oder ob ihm an der Bedeutung des Wortes nicht nur im Sinne von Vorfall , sondern auch von Zufall gelegen war.
    »Wir verfügen in beiden Fällen über Spuren«, erklärte der Leiter der Ermittlungen, der den schönen Namen Rosenblüt trug, »die darauf hinweisen, daß es sich um dieselbe Tatperson handeln könnte.«
    »Welche Spuren meinen Sie?« erkundigte sich der Reporter leiser denn je.
    »Spuren ganz im allgemeinen. Ich will es so ausdrücken. Ein Mensch, der sich in einem Raum befindet, hinterläßt Dinge seiner selbst. Auch wenn er Handschuhe trägt. Auch wenn er mit äußerster Sorgfalt vorgeht. Ein Mensch, der in einem Raum steht, ist vergleichbar einem Weihnachtsbaum.«
    »Bitte?«
    »Er verliert Nadeln, der Weihnachtsbaum«, erläuterte Rosenblüt. »Zwangsläufig. So wie ein Mensch zwangsläufig Haare verliert, Schuppen, Partikel seiner Haut, winzige Fragmente seiner Kleidung. Auch wenn er sich noch so vorsichtig bewegt. Wie der Weihnachtsbaum büßt er selbst dann noch Anteile seines Körpers ein, wenn er völlig still steht. Dazu kommt weiters, daß beinahe jeder Täter einem häuslichen Automatismus unterliegt, daß er also einen Gegenstand geraderückt oder etwa mit dem Finger über Türkanten streicht, des Staubes wegen. Und so weiter. Der Täter schafft also unwillkürlich eine Ordnung oder Unordnung, die nicht selten aus der vom Opfer geschaffenen Ordnung oder Unordnung heraussticht. Kein Mensch kann dagegen etwas tun, so sehr er sich auch bemühen mag, dies zu vermeiden. Woraus sich schlußendlich ergibt, daß der Kriminalist in absolut jedem Fall über eine Anzahl von Spuren verfügt, vagen wie konkreten, die ich als den

Weitere Kostenlose Bücher