Ein Sturer Hund
Bürohochhauses gelegen war. Während Cheng sich auf einem zwei Meter breiten Streifen aus dunklem und hellem Stein durch diesen Raum bewegte, sah er links von sich eine mit Kies und rechter Hand eine mit Erde ausgefüllte Fläche.
Am Ende des steinernen Gehwegs und quer zu diesem erhob sich ein einstufiges Podest, auf dem ein Schreibtisch und mehrere Stühle plaziert waren sowie zwei hyperrealistische Skulpturen. Die eine Figur stellte eine nackte Frau dar, die einfach in einem der Sessel saß und auf ihre Schenkel stierte, während es sich bei der anderen Plastik um einen stehenden Mann handelte, der in einem blauen Arbeitsanzug steckte und einen Besen in seinen Händen hielt, den er gegen den marmornen Boden gerichtet hatte. Neben ihm befand sich ein Kübel mit echtem Wasser.
Cheng fragte sich, was wohl im Kopf jener Leute vor sich gehen mußte, die diesen Raum tatsächlich zu reinigen hatten und damit auch diese Skulptur, die so täuschend echt einen Arbeiter des Reinigungsdienstes verkörperte.
Hinter dem Ensemble eröffnete eine weite Scheibe den Blick auf den Norden der Stadt, die im Schnee ihr Gesicht verloren hatte. Ein teurer Ausblick. Aber das wirklich Kostspielige an diesem Raum ergab sich durch die weitgehende Auslegung des Bodens mit billigem Kies und noch billigerer Erde. Inneneinrichtung hin oder her, es war wohl die gigantische Platzverschwendung, die einen jeden Betrachter beeindruckte. Immerhin zählte dieser Ort zu den Plätzen, an denen der Begriff der Bodenlosigkeit ausgerechnet mittels der Quadratmeterpreise der Böden verdeutlicht wurde.
Als Cheng auf das Podest getreten war, erhob sich der Mann hinter dem Schreibtisch und reichte Cheng die Hand. Er trug ein nicht mehr ganz sauberes Hemd aus dunkelgrünem Cord. Die oberen drei Hemdknöpfe waren offen. Angegraute Locken wurden sichtbar. Überhaupt vermittelte der Mann einen unrasierten Eindruck, und zwar auf eine völlig unmodische Weise. Dabei war es nicht so, daß er dreckig und verwahrlost wirkte. Aber er schien weit davon entfernt, sein Vermögen in seine äußere Erscheinung investieren zu wollen. Er nannte Cheng beim Vornamen und war ganz offensichtlich erfreut über das Wiedersehen. »Setz dich doch bitte, Markus. Gläschen Wein?«
»Gerne.«
Otto Bodländer griff unter den Tisch und stellte eine Flasche und zwei Gläser zwischen sich und seinen Gast. Der Wein war so billig wie Bodländers Kleidung. Schlecht war er dennoch nicht.
»Du siehst so gut wie unverändert aus«, meinte Cheng bewundernd. »In jeder Hinsicht. Ein wenig verhungert. Ein wenig abgerissen. Ein wenig unfrisiert.«
»Herrlich, nicht wahr? Ich bin zur Genüge erfolgreich, um mir das leisten zu können. Diese optische Unverfrorenheit. Auch wenn die meisten Leute ihre Nasen rümpfen, ihr Rümpfen hat keine Bedeutung. Weil ihre Nasen keine Bedeutung haben. Auch würde niemand auf die Idee kommen, offen heraus zu rümpfen.«
»Na gut. Aber wenn man sich dein Büro ansieht, erinnert das schon weit weniger an die Verkommenheit deiner Wiener Jahre. Ziemlich schick. Sozusagen: Schöner arbeiten.«
»Ja. Das Büro muß natürlich was hergeben. Denn auch die Unverfrorenheit hat ihre Grenzen. Entweder ist das Outfit heruntergekommen oder die Einrichtung. Beides wäre zuviel. Aber sag doch, wie hat es dich ausgerechnet nach Stuttgart verschlagen?«
»Ich wollte aus Wien einfach raus«, erklärte Cheng. »So wie du. Bloß, daß ich in meinem Gewerbe geblieben bin.«
»Noch immer die Schnüffelei.«
»Noch immer. Darum bin ich auch hier. Schließlich warst du einmal mein Experte für alles, was mit Kunst zu tun hatte. Mich interessiert deine Meinung.«
Cheng zog den Bierdeckel aus seiner Anzugstasche, reichte ihn zu Bodländer hinüber und sagte: »Ich will wissen, was du davon hältst. Von der Zeichnung. Der Konstruktion. Vor allem, was du mir über den Charakter der Person sagen kannst, die das angefertigt hat.«
Bodländer lehnte sich zurück, hielt den Karton in die Höhe und betrachtete ihn mit sichtlichem Interesse. Dann fragte er Cheng: »Irgendeinen Schimmer, wem wir das zu verdanken haben?«
»Einer Frau. Mitte zwanzig oder etwas älter. Mehr weiß ich nicht. Also abgesehen davon, daß sie dunkelblond ist, ein breites, aber hübsches Gesicht besitzt und es höchstwahrscheinlich besser ist, sich vor ihr in acht zu nehmen. Aber letzteres kann auch ein Irrtum sein. Also, was meinst du?«
»Eine großartige Arbeit. Ich will nicht übertreiben, aber deine
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