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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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versuchte, es sich auf einem ausgebreiteten groben Tuch bequem zu machen.
    Währenddessen verschwand Stoll in einem Nebenraum, und Cheng trat ins Wohnzimmer. Ein Fernseher lief. Man sah, wie ein kleiner, dünner Mensch auf zwei länglichen Brettern über eine Schanze sprang und dabei eine Haltung einnahm, als wollte er sich im Flug selbst überholen.
    In einer Ecke des Zimmers hing ein Käfig von der Decke. Zwei gelbe Vögel hockten auf einer Stange, ohne einen Ton von sich zu geben. Einer davon war echt. Cheng schenkte beiden einen traurigen Blick, dann versank er in einem wuchtigen, tiefliegenden Sofa und wartete.
    Eine gute halbe Stunde später erschien Stoll, reichte dem Detektiv das Stück viereckigen Kartons und sagte: »Wir haben hier Fingerabdrücke von zwei verschiedenen Personen. Doch keines von den Mustern ist registriert. Das sind absolute Neulinge, jungfräuliche Prints. Aber wenn es hilft, kann ich Ihnen sagen, daß die Zeichnung ein Original ist, und ein Meisterwerk dazu.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Um was geht es eigentlich?« fragte Stoll.
    »Sie werden’s noch erfahren.«
    »Soll heißen, Cheng, daß Sie hinter dem Rücken der Polizei operieren. Gut so. Die Polizei hat es verdient, von Invaliden wie Ihnen an die Wand gespielt zu werden.«
    »Danke. Was bin ich schuldig?«
    »Wie immer. Nichts. Ich warte darauf, daß Sie mir mal einen Gefallen erweisen können. Mir etwa ein Alibi verschaffen, für den Fall, daß ich meinen Chef umbringe. Oder irgend etwas anderes unternehme, von dem es dann heißt: naheliegend, aber illegal.«
    »Abgemacht«, sagte Cheng. Und es klang, als meine er es ernst.
    Als die beiden Männer das Vorzimmer betraten, richtete sich Lauscher rasch auf. Er war kein Freund fremder Wohnungen. Er war auch kein Freund der Pfützen, die er selbst verursachte.
    Montag morgen rief Cheng Otto Bodländer an, den er von früher kannte, und vereinbarte für die Mittagszeit einen Termin. Aus Hamburg stammend, war Bodländer in den Achtzigern nach Wien gegangen, wo er Kunstgeschichte und Malerei und einiges andere anstudiert hatte und ein Mitarbeiter in Chengs Mitarbeiterstab gewesen war. Mitarbeiterstab ist ein dramatisches Wort für die in Wirklichkeit kümmerlichen Verhältnisse. Cheng hatte hin und wieder einige Leute beschäftigt, gesellschaftliche Randfiguren, die froh gewesen waren, sich mit der einen oder anderen Observation, der einen oder anderen Recherche ein paar Scheine zu verdienen.
    Bodländer war dabei der Spezialist für Kunst und Kriminalität gewesen. Leider hatte ihm sein Spezialistentum nur selten etwas eingebracht. Er war schlichtweg auf der falschen Seite gestanden, wie das für Randfiguren nun so Usus ist. Doch zwischenzeitlich hatte er nicht nur Wien aufgegeben, sondern auch das Trostlose seiner damaligen Existenz und war zum Besitzer und ersten Ideengeber einer erfolgreichen Werbeagentur aufgestiegen. Vielen seiner Kampagnen war es zu verdanken, daß deutsche Bürger und Konsumenten einen hohen Grad an Sensibilität entwickelt hatten.
    Bodländer vertrat die Ansicht, daß Werbung eine Form von Herzensbildung darstelle. Sein Credo lautete: »Wir zeigen den Menschen überhaupt erst, daß sie ein Herz besitzen«. Und tatsächlich hatte Bodländer den Aspekt der Rührung in die Werbung eingebracht. Nicht die unsinnige Rührung, die entsteht, wenn man das Elend des Krieges oder die Verunreinigung eines Kinderkleids mittels Schokoladeflecken zeigt, sondern jene subtile Ergriffenheit, die den Betrachter angesichts einiger Klosterschwestern überfällt, die, von einem schwarzhäutigen Mann chauffiert, in einem nagelneuen Familienwagen durchs Gelände schaukeln. Oder die Ergriffenheit, die sich beim Anblick eines älteren Ehepaars ergibt, das sich beide Beine bricht. Er die seinen. Sie die ihren. Und wie sie dann mit ihren vier eingegipsten Beinen auf der Rückbank einer sehr geräumigen und luxuriösen Limousine sitzen, Altersweisheiten auf den Lippen, und endlich die Vorzüge ihrer privaten Unfallversicherung in Anspruch nehmen können.
    In Bodländers Werbefilmen mußten stets Automobile vorkommen, ob nun für diese geworben wurde oder nicht. Der Anblick von Autos, so Bodländer, sei, mehr noch als der von Tieren, Kindern oder Wolken, der stärkste Auslöser für Rührung.
    Mit dieser so merkwürdigen wie einfachen Maxime war ihm der Erfolg beschieden. Ein Erfolg, der seinen Ausdruck auch in Bodländers Büro fand, das in einem der oberen Stockwerke eines Stuttgarter

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