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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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mir ein Mindestmaß an standesüblichen Gepflogenheiten zuzubilligen. Was ich Ihnen sagen kann, ist das: Thomas Marlock war an dem Abend, an dem er starb, nicht mit einem Mann, sondern einer Frau in seiner Wohnung. Ganz entsprechend seiner sexuellen Veranlagung. Die wohl ein wenig biederer war als sein Tod. Diese Frau hat sich am selben Abend in Tilanders Bar aufgehalten, wo man sie nie zuvor gesehen hat, und auch danach nicht. Ich kann nicht genau sagen, was diese Frau wirklich getan hat, aber sie war es wohl, die die obskure Lustigkeit besaß, Marlocks separierten Kopf ins Aquarium zu tauchen. Ich weiß nicht, wer diese Frau ist. Ich kenne ihren Namen nicht und habe nicht die geringste Ahnung, wo man sie auftreiben könnte.«
    »Ich habe in Ihrer schönen Rede kein einziges Mal das Wort Bierdeckel vernommen«, wandte Dr. Thiel ein.
    »Die Sache mit dem Bierdeckel ist eine Lächerlichkeit. Haben Sie es denn nicht gehört? Auch Peter Crivelli glaubt kaum, mir damit einen entscheidenden Hinweis gegeben zu haben. Sollte dies aber wider Erwarten doch der Fall sein, werden Sie es natürlich erfahren. Meine Herren, ich kann, ob Sie mich nun für einen halbierten Taiwanesen halten oder nicht, mit Ihnen kooperieren. Aber ich brauche meine Zeit und meine Freiheit. Habe ich etwas Stichhaltiges, dann, wie gesagt, kommt es auf Ihren Tisch. Brühwarm, aber nicht butterweich.«
    »Was ist das? Österreichische Poesie?« erkundigte sich Thiel.
    »Wieso österreichisch?«
    »Grund ohne Tiefe. China ohne Massen. Spaß ohne Freude«, proklamierte der Akademiker.
    »Lassen wir das«, unterbrach Rosenblüt das Geplänkel. »Hören Sie, Cheng, was sagt Ihnen Zweiffelsknot ?«
    »Crivelli hat diesen Ort erwähnt. Ein Ort eben, wo man Bier herstellt. Und Bierdeckel. Was wohl nichts zu bedeuten hat.«
    »Crivelli sprach von einem Porträt. Was meint er damit?«
    »Diese Frau hat, während sie in Tilanders Bar saß, Thomas Marlock gezeichnet. Ich glaube aber nicht, daß Marlock das überhaupt realisiert hat.«
    »Das soll wohl heißen«, folgerte Rosenblüt, »daß ein Bierdeckel als Zeichenblock diente.«
    »So ist es. Crivelli hat nichts anderes getan, als einen kurzen Blick auf Marlocks Porträt zu werfen. Und dabei konnte er also feststellen, daß der Bierdeckel nicht aus seinem Hause stammte. Ich halte das nicht unbedingt für einen dramatischen Hinweis.«
    »Hören Sie auf, Cheng«, mahnte Dr. Thiel, »permanent Crivellis Anruf herunterzuspielen. Wo ist dieser Bierdeckel?«
    »Ich habe keine Ahnung. Aber ich nehme doch an, daß er sich im Besitz der Porträtistin befindet.«
    »Gnade Ihnen Gott«, gab sich Dr. Thiel religiös, »wenn Sie versuchen, uns anzuschmieren.«
    Cheng schwieg. Was sollte er auch sagen. Den beiden Polizisten mußte schließlich klar sein, daß ein Privatdetektiv nicht allein als Zuträger der Behörden fungieren konnte. Und daß das Verhältnis zwischen ihnen notwendigerweise immer ein getrübtes bleiben würde.
    »Leute wie Sie«, erklärte Thiel, »stehen im Grunde auf der Seite der Kriminellen.«
    »Dort, wo ich stehe, stehe ich allein«, meinte Cheng dunkel, erhob sich aus seinem Stuhl und ging in den Werkstattraum. Er griff in einen Wandschrank und holte eine Dose Hundefutter heraus, die er öffnete und den Inhalt in Lauschers Napf beförderte.
    Der Hund näherte sich ohne Eile und ging neben seinem Essen in Positur, als warte er darauf, mit selbigem fotografiert zu werden. Er brauchte immer eine Weile, bis er sich entschloß, auch tatsächlich zu fressen. Alles im Leben Lauschers war durch eine ungemeine Langsamkeit geprägt, die in seinem Fall nichts Methodisches besaß. Denn dieser Hund war ja kein Buddha und kein Heiliger.
    Manchmal kam es Cheng vor, als sei Lauscher zwar ein zum Denken fähiges Wesen, das jedoch im allerersten Gedanken seines Lebens quasi hängengeblieben war und nun – durch diesen Gedanken wie durch einen zähen Teig tretend – sich in Form einer andauernden Verzögerung durchs Leben bewegte. Denn wer noch immer mit seinem ersten Gedanken verbunden war, konnte nicht wie ein Irrer durch die Gegend rennen und wie ein Irrer Futternäpfe leeren. Versteht sich.

Im Fiat den Leiden entgegen
    Die Welt ist eine Soße.
    ( Rose , Friederike Konstanze Schneider)
     
    Als Cheng in den vorderen Raum zurückkehrte, waren Rosenblüt und Thiel verschwunden. Was für die beiden keine Schwierigkeit gewesen war, da der Schlüssel wie üblich auf der Innenseite der Ladentür gesteckt hatte. Cheng

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