Ein Sturer Hund
können Sie wissen«, fragte Rosenblüt, »daß die Frau in der Kirche dieselbe war wie in Tilanders Bar ? Eine blutige Nase ist noch kein Beweis.«
»Es existiert eine Beschreibung, welche ziemlich genau auf sie paßt. Zudem finde ich, daß sie recht merkwürdig reagiert hat.«
»Warum das denn?« fuhr Dr. Thiel verächtlich dazwischen. »Wahrscheinlich haben Sie auf diese Frau einen geisteskranken, bedrohlichen Eindruck gemacht – wie Sie da Ihren Hund durch die Kirche schleppen. Und dann folgen Sie ihr auch noch, stellen sich ihr in den Weg. Ich finde überhaupt nicht, daß Ihre Verdächtige sich verdächtig benommen hat.«
»Wie Sie meinen. Ich kann die Polizei nicht zwingen, nach dieser Frau zu suchen.«
»Wir sollten zunächst einmal mit Dr. Callenbach sprechen«, entschied Rosenblüt. »Sie, Cheng, will ich dabeihaben. Aber der Hund bleibt hier. Um den soll sich Ihr Mitarbeiter kümmern.«
Somit wurde Lauscher an Purcell übergeben und brauchte also nicht wieder in die Kälte zu treten.
Rosenblüt stand auf und ging hinüber zu einer Gruppe von Männern, die in einem Extraraum standen, Honoratioren. Einer von ihnen, Cheng hatte ihn am Vorabend am Stammtisch gesehen, zog ein Handy aus der Tasche, wählte und sprach eine Weile. Nachdem er geendet hatte, nickte er Rosenblüt zu. Dieser kam zurück und sagte: »Man erwartet uns.«
»Man erwartet uns also«, höhnte Cheng. »Schön für Dr. Callenbach, wie hochoffiziell die Sache abläuft. Geradezu diplomatisch rücksichtsvoll.«
»Wir sind hier in Deutschland«, verkündete Dr. Thiel. »Wir stürmen nicht Büros von Klinikdirektoren, bloß weil ein Chinamann sich das wünscht.«
Cheng sagte nichts, hielt sich jedoch die Hand auf den Magen, genau an die Stelle, an der Rosenblüts Schlag ihn getroffen hatte. Um solcherart zu bekunden, wie sehr er über die korrekten Vorgangsweisen hierzulande Bescheid wußte.
Rahmenhandlung
Vor dem Klinikeingang stand eine Frau in einem schwarzen Mantel und empfing die drei Männer. Die zierliche, freundliche Person stellte sich als Frau Callenbach vor. Mit einer bedächtigen Stimme, wie sie Menschen besitzen, die denken, während sie reden (wobei sie selten über das denken, worüber sie reden), mit einer solchen Stimme also erklärte sie, ihr Mann habe sich bereits hinauf zur Leichenhalle begeben müssen, weshalb sie selbst es übernehme, die Herren von der Polizei zum Friedhof zu führen. Auf Rosenblüts fragenden Blick erklärte Frau Callenbach, daß einer der Patienten der Klinik heute auf dem anstaltseigenen Friedhof beigesetzt werde.
»Unser Herr Bühler ist beinahe hundert geworden«, sagte Frau Callenbach.
»Er starb in Frieden?« erkundigte sich Rosenblüt vorsichtig.
»Das ist richtig, Herr Hauptkommissar. Wie man so sagt: er entschlief.«
»Gut. Gehen wir.«
Der Friedhof lag in der Mitte einer Anhöhe, die sich hinter dem Anstaltspark mit einem scharfen Knick abhob. Über einen von jungen Tannen flankierten Gehweg stieg man hinauf zur Leichenhalle, welche linker Hand von hohen Bäumen abgedeckt wurde, während sich rechts davon der Friedhof ausbreitete, eine von Hecken eingerahmte Fläche, auf der die uniformen Kreuze in gleichmäßigen Abständen und präzisen Linien aufgereiht standen. Genauer gesagt, ragten nur noch die Spitzen aus der Schneedecke heraus. Ein Weg war freigeschaufelt worden, der in den oberen Bereich des ansteigenden Terrains führte, dorthin, wo das Weiß von einem dunklen Erdhaufen unterbrochen wurde. Zwei Männer mit Pelzkappen standen daneben und stützten sich auf ihre Schaufeln.
Die Leichenhalle besaß den Charakter eines barocken Gartenhäuschens. Eine Idylle für Tote. Der verstorbene Herr Bühler lag in seinem offenen Sarg und hatte es gemütlich. Die Lebenden hingegen drängten sich in dem kleinen Raum, so daß kaum jemand eine Hand heben konnte, um sich zu schneuzen. Weshalb auch das allgemeine Geschniefe ein beträchtliches war. Ein Geschniefe, das allein aus der Kälte des Raums und der Verkühltheit der Anwesenden hervorging. Geweint wurde nicht. Schlichtweg, da es nichts zu trauern gab, wenn ein Mensch mit achtundneunzig Jahren schmerzfrei verstorben war.
Allerdings war der Tote bis zuletzt ein eigenwilliger Mensch gewesen. Trotz der intensiven katholischen Düngung, die in dieser Gegend vorherrschte, hatte er darauf bestanden, ohne priesterlichen Beistand zur Erde getragen zu werden. Weshalb sich Dr. Callenbach bereit erklärt hatte, eine kleine Rede am Grab zu
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