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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Klinikdirektor hatte sich Cheng nach vorn gedrängt und derart positioniert, daß der Arzt nicht umhinkam, ihn zu bemerken. Ohne sich allerdings davon berühren zu lassen. Vielmehr ging Dr. Callenbach völlig in seiner Darstellung des Bühlerschen Lebens auf und verstieg sich immer mehr in eine Lobrede auf die Chancen, die eine seelische Erkrankung berge. Um dann erneut die Sprache auf die gärtnerischen Leistungen des Verstorbenen zu bringen und schließlich zu verkünden, Bühlers Freunde und Kollegen würden ihren Ehrgeiz daransetzen, eine neue Tulpe zu züchten, welche im Gedenken an den Toten nach diesem benannt werden solle. Mit diesem Versprechen beendete Dr. Callenbach seine Grabrede und gab den Sarg frei.
    Wobei Bühlers hohes Alter, seine Bedeutung und auch seine Abneigung gegen die Kirche natürlich nichts daran änderten, daß er, wie alle anderen Verstorbenen auch, das Viertel eines Grabes zugesprochen bekam. Und damit auch das Viertel eines Grabsteines. Denn es handelte sich hier um einen Friedhof, auf dem die Gleichheit vor Gott mit schöner Präzision praktiziert wurde. Sieht man großzügigerweise von den beiden Grabmälern ab, die zwei ehemaligen Anstaltsleitern und ihren Gattinnen gewidmet waren. Und Großzügigkeit war in diesem Punkt durchaus legitim, wenn man berücksichtigte, daß die beiden Ruhestätten zwar eine individualistische Gestaltung besaßen, jedoch gewissermaßen verschämt auf der Rückseite und im dauernden Schatten der Leichenhalle angelegt worden waren.
    Als man Bühlers Sarg an zwei Seilen ins Erdreich hinuntergelassen hatte, trat Callenbach erneut vor die Grube und warf eine Rose hinab. Eine dunkelrote. So dunkelrot wie das Päckchen, das mit einer Schleife von derselben Farbe an den Rosenstiel angebunden war. Zumindest meinte Cheng etwas derartiges erkannt zu haben. Viel Zeit war ihm nicht vergönnt gewesen, um das Objekt zu betrachten, zu plötzlich hatte es Callenbach in der Hand gehabt und ohne eine weitere Geste hinunter zu dem Toten geworfen.
    Natürlich drängte es Cheng dazu, sogleich an das Grab zu gehen, um seine Beobachtung zu überprüfen. Nach alldem, was in Callenbachs Büro geschehen war, erschien es ihm nicht unwahrscheinlich, daß der Arzt sich eines weiteren Beweismittels zu entledigen versuchte. Oder auch nur jene Asche entsorgte, die von der Verbrennung zweier Porträts zurückgeblieben war.
    Unglücklicherweise war Cheng viel zu sehr in die rituelle Ordnung dieser Beerdigung eingebunden, um sich ungebührlich zu benehmen. Ein Ritual, das ja auch ohne die Anwesenheit eines Geistlichen funktionierte und welches jeglichen Radau ausschloß. Außer jener lauten Klage. – Nun, niemand klagte. Statt dessen bildeten die Menschen eine Reihe, welche am offenen Grab vorbeizog. Einige der Personen griffen nach der Handschaufel, welche im Haufen steckte, und warfen dem Toten eine Schippe der dunklen, feuchten Erde hinterher. Andere verbeugten sich bloß. Manche sahen konzentriert in das Loch. Andere wiederum zogen ein zweifelndes Gesicht, als wüßten sie schon jetzt um die Tragweite des Todes. Aber niemand ließ eine Furcht bemerken. Einige der Trauergäste taten es Callenbach gleich und ließen einzelne Blumen in die Grube fallen. Eine junge Frau, die als einzige Tränen in den Augen hatte, schleuderte einen abgegriffenen Teddybär zu Bühler hinunter.
    »Schade um eine solche Antiquität«, dachte Cheng und fragte sich, ob die Tränen dem Bären oder dem Toten galten. Und wenn ersteres der Fall war, ob die Frau vielleicht versuchte, mit diesem Stofftier auch ihre Neurose zu beerdigen. Über solchen Überlegungen ergab sich nun endlich die Möglichkeit, selbst an das Grab zu treten. Und als Cheng jetzt die Schaufel nahm und ein paar Erdklumpen in das Grab beförderte, starrte er hinunter auf den Berg von Blumen und Erde, die den Sarg halb verdeckten. Cheng erkannte den Kopf des Bären, der aus der Anhäufung ragte und ihr das Flair eines unaufgeräumten Kinderzimmers verlieh. Was Cheng freilich nicht entdecken konnte, war Callenbachs dunkelrote Rose samt jenem Päckchen. Begraben!
    Die Trauergäste verließen in zwei Richtungen den Friedhof, während die beiden Totengräber nach ihren Schaufeln griffen. Vor der Leichenhalle traten Rosenblüt und Dr. Thiel auf Callenbach zu, der soeben seine Frau mit einem Kuß verabschiedete. Cheng kam als letzter hinzu.
    »Sie sind ein lästiger Mensch, Herr Cheng«, sagte Callenbach auf seine trockene Art, die jede Beleidigung

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