Ein Sturer Hund
erschießen. Diese Frau und dieser Mann waren Leute, deren höchste Perfektion darin bestand, zwischen privater Anschauung und den unbedingten Vorgaben ihrer Aufträge und Befehle eine klare Trennlinie zu ziehen. Der Laie (und diesbezüglich war auch ein Cheng bisher ein Laie gewesen) kannte solche Personen bloß aus der Fiktion von Filmen und Romanen: sozusagen kaltblütige Killer, ob sie nun für staatliche Geheimdienste arbeiteten oder sich als Freischaffende verdingten. Doch das wirklich Kaltblütige an diesen Menschen war eben die Trennlinie, die sie zu ziehen verstanden oder die zu ziehen man sie erzogen hatte. Einen kleinen, süßen Hund mit langen Ohren zu erschießen bedeutete keine Untat, die moralisch zu hinterfragen war, sondern stellte eine Notwendigkeit dar. Nichts, was Freude machte. Aber auch nichts, was Kummer bereitete; überhaupt wurden in einem solchen Fall Adjektive wie »klein«, »süß« und erst recht die Erwähnung sonderbarer Ohren selbstverständlich weggelassen. Ein zu tötender Hund besaß keine Attribute. Ein zu streichelnder sehr wohl.
»Darf man fragen«, begann Cheng erneut, »worum es eigentlich geht? Wer ist Moira? Und was hat sie mit Callenbach zu tun?«
»Was sollte das bringen, Ihnen alles zu erzählen?« wehrte der Mann ab.
Cheng wurde klar, daß man nicht daran dachte, ihn am Leben zu lassen. Es reichte bei weitem nicht aus, Mortensens Namen preisgegeben zu haben. Dieser ganze Fall schien eine Tragweite zu besitzen, die gewisse Stellen oder Personen dazu veranlaßte, ein radikales Ausmerzen nicht autorisierter Mitwisser zu betreiben.
»Eine Bitte«, sagte Cheng. »Lassen Sie den Hund am Leben.«
»Halten Sie uns für Sadisten?« empörte sich die Frau. »Warum sollten wir das Tier jetzt noch umbringen? Wir wissen, was wir wissen müssen. Sie und Mortensen zu liquidieren wird vollauf genügen.«
Der Mann hatte wieder gegenüber von Cheng Platz genommen. Jetzt war er an der Reihe. Er zog seine Waffe hervor und montierte mit der gleichen Fingerfertigkeit wie zuvor die Frau einen Schalldämpfer auf den Lauf. In etwa, wie man eine Feder auf einen Hut aufsteckt, oder eine Kerze auf die Torte eines Einjährigen. Cheng fragte sich, warum eigentlich nicht alle Menschen Schalldämpfer benutzten. Lag darin schlichtweg das Bedürfnis der Mehrheit, laut zu sein?
Das war nun aber nicht die Frage, die Cheng verzweifeln ließ. Sondern die Frage nach dem Sterben. Er war nämlich alles andere als ein Mensch, der dem Tod in einer professionellen Weise ins Auge sah. Weshalb er sich beeilte, darauf zu verweisen, daß man doch nicht ernsthaft annehmen könne, er habe die Wahrheit gesagt.
»Doch, das haben Sie«, erklärte der Mann ruhig und bestimmt. »Mortensen ist in diesen Gefilden nicht gerade ein häufiger Familienname. Hätten Sie sich irgendeinen beliebigen Namen ausgedacht, dann sicher nicht einen solch ungewöhnlichen. Einen, der dann auch noch im Telefonbuch steht.«
»Mortensen ist ein Freund von mir«, stieß Cheng hervor. »Aber nicht der Auftraggeber, sondern einzig und allein ein rattenschlechter Literat.« Dabei bemühte er sich um einen verschmitzten Gesichtsausdruck.
»Hören Sie auf mit dem Gewinsel«, forderte die Frau »Achten Sie auf Ihre Würde.«
Der Mann richtete seine Waffe auf Chengs Kopf und sagte: »Ich bin sicher, daß Ihr kleiner Hund einen guten Platz bekommen wird. Polizisten haben ein großes Herz.«
»Apropos Herz!«
Wer das gesagt hatte, war keiner von den dreien, sondern eine vierte Person. Diese Person stand in der Türe, die von der Werkstatt ins Büro führte, ebenfalls mit einer Schußwaffe in der Hand und drückte sofort ab. Die Kugel bohrte sich in die Schulter des Mannes, der noch eben vorgehabt hatte, Cheng zu erschießen. Die Wucht katapultierte den Getroffenen aus seinem Sessel. Er kam nicht mehr dazu, abzuziehen. Die Waffe entglitt ihm, flog in einem Bogen durch den Raum und landete auf dem Parkett, weit entfernt von jemand, der sie hätte an sich nehmen können. Bevor nun der Frau mehr gelang, als den Griff ihrer eigenen Waffe zu umfassen, war der Schütze mit schnellem Schritt in den Raum getreten und hatte die von der Abfeuerung noch ganz warme Mündung auf die Stirn der Frau aufgesetzt.
»Großer Gott, Thiel!« rief Cheng und vergaß in der Aufregung den Doktortitel. Etwas, was einem gebürtigen Wiener eigentlich so gut wie nie passierte.
Dr. Thiel blieb völlig konzentriert. Während er die Frau in Schach hielt, blickte er aus dem
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