Ein Sturer Hund
Barkeeper auf die Zehen getreten war. Und zwar ordentlich.
Obwohl erst zehn Uhr, war Cheng der einzige Passant, als er sich die leicht ansteigende Straße auf sein Büro zubewegte. Vorbei an geparkten Wagen, die im Schnee wie in aufgebrochenen Eierschalen steckten. Die ganz Stadt mutete an wie halb ausgebrütet.
Cheng öffnete die unversperrte Tür und betrat den überheizten Raum, der mehr im Dunkel lag als im Licht der Schreibtischlampe. Weshalb Cheng blind zur Seite griff, dorthin, wo der Lichtschalter lag. Doch das, was er zu fassen begann, fühlte sich weich an. Nicht weich wie Butter, sondern weich wie etwas, das einen festen Kern, jedoch eine leicht nachgebende Oberfläche besaß. Und eine textile Struktur.
»Seidig«, dachte Cheng im Bruchteil einer Sekunde. Und realisierte in diesem Bruchteil auch, daß der Lichtschalter nicht irgendeine zauberische Wandlung durchgemacht hatte, sondern daß er, Cheng, mit seinen Fingern gerade einen Krawattenknopf berührte. Wobei natürlich kein Krawattenknopf alleine im Raum steht, also schwebt. Zu einem solchen gehört der Rest einer Krawatte und in der Regel auch ein Krawattenträger. – Wie wahr. Im nächsten Moment spürte Cheng die Heftigkeit von etwas, das sein Gesicht getroffen hatte. Ein Treffer, der ihn nach hinten katapultierte. Und auch wenn es sich wie ein Medizinball angefühlt hatte, so war es doch bloß die Faust jener Person gewesen, welche diese Krawatte trug.
Das wurde Cheng bewußt, als er wieder zu sich kam und in einem seiner Stühle saß. Er griff sich an die Nase, streifte dann über sein gesamtes Gesicht und stellte dessen Unversehrtheit fest. Er schien nicht einmal zu bluten, realisierte bloß eine gewisse Hitze in seiner linken Wange und eine leichte Unruhe in dem dazugehörigen Jochbein. Der Schlag, der ihn getroffen hatte, war der eines Könners gewesen, dem es nicht um eine ernsthafte Verletzung gegangen war. Wer von den beiden auch immer geschlagen hatte. Denn es waren zwei: ein Mann und eine Frau. Und beide trugen Krawatten. Der Mann saß Cheng gegenüber im Stuhl, während die Frau an der Kante des Schreibtischs lehnte. Übrigens hatte dieser Fausthieb eine große Ähnlichkeit mit jenem besessen, von dem Cheng in der Zweiffelsknoter Kirche niedergestreckt worden war. Als seien beide Schläge auf dieselbe Schule zurückzuführen. Ein Gedanke, der sich noch weiter verstärken würde, da zumindest die Frau ein Deutsch sprach, hinter dem sich bei genauem Hinhören ein englischer Akzent verbarg.
Was Cheng aber zunächst einmal kümmerte, war die Frage nach Lauscher. Weshalb er sich jetzt ein wenig im Sessel aufrichtete, Oberkörper und Kopf zur Seite beugte und versuchte, an seinem Gegenüber vorbei auf die Stelle zu sehen, an der er seinen langohrigen Hund vermutete. Der Blick des Mannes und der der Frau folgten jenem Chengs. Zu dritt betrachtete man nun den dahingestreckten, gelblich braunen Körper, der vor der Heizung lag. So, als spürte Lauscher instinktiv, daß es an ihm war, Befürchtungen zu zerstreuen, rekelte er sich ein wenig und gab dann einen von diesen tiefen Seufzern von sich, in die man so ziemlich alles hineininterpretieren kann. Von Wehmut über Intelligenz bis hin zu gottlosem Wohlbefinden.
Die drei Personen wandten sich wieder einander zu.
Der Mann, der jetzt das Wort an Cheng richtete, war bei weitem älter als die Frau, auch älter als Cheng. Eher jenseits der Sechzig als darunter. Aber der Faustschlag konnte genausogut von ihm gewesen sein. Ein Mann mit der ausgewogenen Figur eines Mittelstreckenläufers. Sein Schädel besaß etwas Vogelartiges. Auch er wirkte in seinem Anzug, als sei er in selbigen hineingewachsen oder quasi wie ein Keim in ihm aufgegangen. Er sagte: »Sie wollen uns sicher keine Schwierigkeiten machen, Herr Cheng. Davon bin ich überzeugt.«
»Ich werde mir Mühe geben.«
Es war die Frau, die die Frage stellte: »Wer beauftragt Sie?«
»Meine Güte«, sagte Cheng und offerierte seinen Standardsatz, daß er ja als Detektiv sofort ruiniert wäre, würde er im erstbesten Moment die Namen seiner Kunden preisgeben.
»Wir sind nicht die Polizei«, sagte der Mann. »Mit uns können Sie nicht handeln, Herr Cheng. Auch stehen wir nicht am Anfang, wo man vielleicht noch Zeit hätte. Diese Geschichte geht eindeutig auf ihr Ende zu.«
Die Frau griff in die Innenseite ihres Jacketts. Ob auch sie in ihrem Damenanzug perfekt steckte, war jetzt nicht die Frage. Zu rasch hatte sie eine schöne große Pistole
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