Ein süßer Traum (German Edition)
jetzt entscheiden, ob ihre Träume voneinander aus all den schrecklichen Jahren stark genug waren, um sie in der Ehe zu tragen. Von dem entzückenden, sittsamen kleinen Mädchen war nichts mehr übrig, und nichts von dem sentimentalen Mann, der eine tote rote Rose an seinem Herzen getragen hatte, bis sie zerbröselte. Die riesigen blauen Augen waren traurig, und er neigte dazu, genau wie ihr jüngerer Bruder in Schweigen zu verfallen, wenn er an Dinge dachte, die nur andere Soldaten verstehen konnten.
Die beiden heirateten in aller Stille: Es war kaum der Zeitpunkt für eine große deutsch-englische Hochzeit. In London klang das Kriegsfieber ab, auch wenn die Leute noch immer vom
Boche
und vom
Hun
sprachen. Die Leute waren höflich zu Julia. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, sich für Philip zu entscheiden, obwohl sie glaubte, dass sie einander liebten, und beide taten so, als wären sie von Natur aus ernst und nicht unheilbar traurig. Und doch verblasste der Krieg, und der schlimmste Kriegshass legte sich. Julia, die in Deutschland für ihre englische Liebe gelitten hatte, versuchte jetzt in einem Willensakt, englisch zu werden. Ihr Englisch war bereits recht gut, aber jetzt nahm sie wieder Stunden, und bald sprach sie ein exquisites Englisch, wie kein Engländer es je gesprochen hätte, jedes Wort für sich. Sie wusste, dass ihre Manieren zu förmlich waren, und versuchte lässiger zu werden. Auch ihre Kleidung war makellos, aber immerhin war sie die Frau eines Diplomaten und musste den Schein wahren. Wie die Engländer es ausdrückten.
Ihr Eheleben begann in einem kleinen Haus in Mayfair, und dort empfing sie mit Hilfe eines Kochs und eines Dienstmädchens Gäste, wie es von ihr erwartet wurde, und erreichte in etwa das Niveau, das sie von zu Hause gewohnt war. Inzwischen hatte Philip festgestellt, dass es für eine ungetrübte Karriere nicht das beste Rezept gewesen war, eine Deutsche zu heiraten. In Gesprächen mit seinen Vorgesetzten stellte sich heraus, dass ihm bestimmte Posten verwehrt bleiben würden, zum Beispiel in Deutschland, dass er sich möglicherweise abseits vom geraden Weg zum Gipfel und an Orten wie Südafrika oder Argentinien wiederfinden würde. Er beschloss, in die Verwaltung zu wechseln, um keine Enttäuschungen zu erleben. Er würde eine schöne Karriere haben, aber keinen Anteil am Glanz des Außenministeriums. Manchmal traf er im Haus einer Schwester jene Betty, die er hätte heiraten können – und die noch ledig war, weil so viele Männer umgekommen waren –, und er dachte daran, wie anders das Leben hätte verlaufen können.
Als Jolyon Meredith Wilhelm Lennox 1920 geboren wurde, wurde eine Amme engagiert und dann ein Kindermädchen. Er war ein langes, dünnes Kind mit goldenen Locken und streitlustigen, kritischen blauen Augen, die oft auf seine Mutter gerichtet waren. Als er von seinem Kindermädchen erfuhr, dass sie Deutsche war, bekam er einen kleinen Wutanfall und war ein paar Tage lang schwierig. Man nahm ihn mit zu Besuchen bei seiner deutschen Familie, aber dem Jungen gefiel es dort nicht, und diese anderen Manieren – man erwartete von ihm, dass er bei den Mahlzeiten die Hände rechts und links neben den Teller legte, wenn er gerade nicht aß, dass er nur sprach, wenn mit ihm gesprochen wurde, und die Hacken zusammenschlug, wenn er um etwas bat. Er weigerte sich, noch einmal hinzufahren. Julia stritt mit Philip darüber, ob ihr Kind mit sieben zur Schule geschickt werden sollte. Das ist heute nichts Ungewöhnliches, aber damals war Julia mutig. Philip sagte, dass das in ihrer Gesellschaftsschicht üblich sei, und überhaupt, sie solle doch ihn anschauen! – er sei mit sieben in ein Internat gegangen. Ja, er erinnere sich, ein bisschen Heimweh gehabt zu haben … Egal, das habe sich gegeben. Julia war nicht zu überzeugen durch das Argument: »Schau mich an!«, das jeden Widerstand brechen sollte, weil der Sprecher von seiner Überlegenheit überzeugt war oder zumindest davon, dass er im Recht war. In Philip gab es einen Ort, der ihr für immer verschlossen war, eine Zurückhaltung, eine Kälte, die sie zunächst dem Krieg zugeschrieben hatte, den Schützengräben, den verborgenen seelischen Narben der Soldaten. Aber dann hatte sie zu zweifeln begonnen: Sie war mit den Frauen der Kollegen ihres Mannes nie so vertraut geworden, dass sie hätte fragen können, ob sie diesen verbotenen Ort bei ihren Männern auch kannten, den Bereich, an
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