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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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Freundin aufzuheitern, sei erledigt. Selbst wenn sich Tanya nicht in eine dieser Seiten eintrug   – allein, dieses Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen, war den Versuch wert gewesen.
    Bis in den späten Abend hinein scrollten sie weiter durch die Seiten und kicherten über die Profile. Dank der Kombination aus Alkohol und Heiterkeit vergingen die Stunden wie im Flug. Tanya hatte gerade auf ein Foto gezeigt und wollte etwas darüber sagen, auf welche Sorte Männer sie stand, als sie plötzlich von einem lauten Knall aufgeschreckt wurden.
    Beide zuckten zusammen und sahen einander an; eine gespenstische Stille senkte sich über sie. Tanya hörte nachts eine Menge Lärm, weil sie so dicht an der U-Bahn-Station wohnte, doch dieses Geräusch hatte etwas an sich, das eine heftige Reaktion hervorrief, und das, obwohl sie sich normalerweise von dergleichen nicht erschüttern ließ. »Heilige Scheiße«, flüsterte sie, ging ans Fenster und zog einen Vorhang beiseite.
    »Das war doch ein Schuss, oder?«, fragte Sara. Sie bemerkte, dass sich die Härchen auf ihren Armen aufgestellt hatten.
    Tanya öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. »Ich kann nichts erkennen, aber doch, das klang schlimm.« Nachdem sie einen letzten Blick auf die Straße geworfen hatte, kehrte sie vom Fenster zurück und schenkte ihnen Wein nach. Sie sah deutlich verstört aus.
    »Hoffentlich war das nur ein Auto mit einer Fehlzündung oder so was«, sagte Sara unbeholfen, dann nahm sie wieder den Laptop.
    Sie stöberten in einer weiteren Internet-Dating-Site und versuchten nicht mehr an den Knall zu denken, auf den nun Polizeisirenen gefolgt waren, als Tanya plötzlich Saras Arm packte und ihr die Nägel in die Haut presste.
    »Au, was soll denn der Scheiß, Tanya?«, rief Sara und entwand ihren Arm dem Killerrobot-Todesgriff ihrer Freundin halb lachend, halb verwundert, dass sie plötzlich so wenig vertrug.
    »Ach du heilige Scheiße, Sara, guck nicht hin, guck bloß nicht hin!«, rief Tanya zur Antwort, die Beine an die Brust gezogen, als hätte sie auf dem Fußboden eine Maus entdeckt.
    Sara sah sie vollkommen verdattert an. Der Abend nahm eine merkwürdige Wendung. Als sie sich wieder dem Bildschirm zuwandte, sprang Tanya sie geradezu an wie ein Äffchen, das sich um einen Ast wickelt, ein Knie auf dem Oberschenkel, ein Ellbogen in ihrem Nacken.
    »Himmelherrgott!«, versuchte Sara zu rufen   – ihre Stimme versiegte irgendwo zwischen Tanyas Brüsten. Sie standen sich nahe, aber jetzt übertrieb sie es.
    Tanya hielt reglos Sara fest, die außer der Achselhöhle ihrer Freundin nichts mehr sehen konnte. »Pass auf, Sara«, sagte Tanya behutsam, »ich lass dich jetzt los, aber schau einfach nicht auf den Bildschirm, okay? Wenn ich dich loslasse, musst du erlauben, dass ich den Laptop ans andere Ende des Zimmers bringe und mir etwas zuerst allein ansehe, einverstanden?«
    »Ja, ja, einverstanden!«, lachte Sara. Auf Tanyas Benehmen konnte sie sich überhaupt keinen Reim machen. »Aber jetzt runter von mir, du verrückte Kuh, du tust mir weh! Du bist viel knochiger als früher!«
    Während Tanya mit einer Behändigkeit und Anmut, die angesichts der Weinmenge, die sie getrunken hatte, beneidenswert erschien, von Sara herunterkletterte, hielt sie der Freundin die Augen zu, packte mit der anderen Hand den Laptop und riss ihn aus ihrem Blickfeld. Sie trug ihn zur Küchentheke und klickte auf etwas, von dem Sara annahm, dass es ein Profil war.
    Sara blickte aus dem Fenster und wartete, dass Tanya ihr absolut seltsames Verhalten wieder aufgab. Als sie jedoch zu ihr hinübersah, entdeckte sie Tränen in Tanyas Augen. Sie hatte beide Hände vor den Mund geschlagen. Sara erhob sich und ging zu ihr. »Tanya, was zur Hölle soll das? So kenne ich dich ja überhaupt nicht!Das macht mich langsam wahnsinnig!« Doch was sie sah, als sie hinter Tanya trat und auf den Bildschirm blickte, verstörte sie erheblich mehr als das unerklärliche Verhalten ihrer Freundin.
    Zu Profil 456 gehörte das Foto eines Mannes, den sie erkannte.
    Tom. Ihr Mann. Er lächelte sie an. Seine dunkelblauen Augen sahen sie vom Bildschirm an, funkelten für jede Frau auf der Welt, die sich daran ergötzen wollte. Sein Haar war gegelt, sodass es unordentlich aussah, und er trug das blaue karierte Hemd, das er schon seit Ewigkeiten besaß.
    Ihr Herz blieb stehen, und sie streckte unbewusst die Hand aus, bis sie Tanyas Hand fand und ihre Finger sich verflochten. Sara war schwindlig. Sie

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