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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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beeindruckend aufgetreten war, dass man sie zum Vortanzen für eine Rolle beim The Royal Ballet eingeladen hatte. Darüber hinaus hatte auch die Presse von ihr erfahren, einer Dreiundzwanzigjährigen aus Ealing, die den Weg auf die Bühnen der Welt angetreten hatte.
    Alles war ungewöhnlich, unerwartet und beispiellos. Und während Rachel auf der Bühne unnahbar wirkte, war ihr Alltagsleben geprägt von den Ängsten und persönlichen Unsicherheiten einer typischen jungen Frau Anfang zwanzig.
    In dieser Woche wartete Rachel auf die Mitteilung, ob man sie ausgewählt hatte, die Swanilda zu tanzen, die Hauptrolle in Coppélia. Auf Nachrichten wie diese zu warten machte sie besonders reizbar.
    »Und, was ist mit Richard?«, fragte Rita in der Hoffnung, das übliche Streitgespräch beim Abendessen zu vermeiden, in dem esunweigerlich darum ging, ob ihre Tochter genügend Schlaf   /   Salz   /   Vitamine   /   Ruhe bekam.
    »Er ist ein blöder Wichser.«
    »Rachel! Benutze dieses Wort bitte nicht in meiner Gegenwart!«, empörte sich Rita und hätte vor Schreck fast eine ganze neue Kartoffel verschluckt. Sie war eine prüde Frau, die es noch immer nicht geschafft hatte, ihrer Tochter klarzumachen, wie wichtig damenhaftes Auftreten war.
    Während Rachel auf der Bühne eine graziöse Frau darzustellen wusste, war ihr Benehmen, sobald der Vorhang fiel, eine ganz andere Geschichte. In ihrer Freizeit bevorzugte sie abgewetzte dunkelblaue Hi-Tops von Converse, knallroten Lippenstift und Schwarz, Schwarz und noch einmal Schwarz. Oft ließ sie den Druck des Alltags hinter sich, indem sie mit Freundinnen von einem Club zum nächsten zog, zu viel rauchte und trank und sich mehr oder minder genauso benahm wie alle anderen jungen Frauen in London. Sie war aber nicht wie alle anderen. Sie unterlag Zwängen und Verantwortung, die von ihr verlangten, dass sie sich anders benahm, und das war im Hause Matthew ein großes Thema   – am Morgen eines wichtigen Vortanzens war sie oft zu sehen, wie sie panisch versuchte, dicke Schichten aus pechschwarzem Nagellack von den Fingern zu bekommen. Dann verschwanden das dunkle Make-up um ihre Augen und der schwere Schmuck. Fast war es, als führte sie ein Doppelleben, aber irgendwie kam sie damit durch.
    Ihre Mutter jedoch machte sich Sorgen. Wenn ihre Tochter auf der Bühne tanzte, richteten sich die Härchen in ihrem Nacken auf, und sie empfand einen größeren Stolz auf Rachel als auf alles, was sie selbst je erreicht hatte. Die Sorge zerfraß sie jedoch, wenn sie sah, wie sich Rachel bei Interviews nervös am Haar zupfte und in förmlichen Augenblicken Anrufe auf ihrem Handy mit brüllendem Gelächter beantwortete. Die Möglichkeit, dass ihre Tochter den Auftritten in der Öffentlichkeit, die zu ihrem Beruf gehörten, einfach nicht gewachsen sein könnte, bereitete ihr schlaflose Nächte. Rachel war nicht imstande, Fragen richtig zu beantworten oder sich in einer Welt, die so versessen darauf war, andere zu verurteilen, angemessen darzustellen.
    Die Zeitschrift Company hatte sie in der vergangenen Woche interviewt und wollte ein Foto-Special über sie bringen. Man hatte sich auf ihre Schönheit konzentriert und den Kontrast zu ihrem Grunge-Stil und ihrer ungewöhnlichen Grundeinstellung. Sie hatten eine Reihe von Fotos von ihr gebracht, auf denen sie ihre zierlichen Ballettschuhe aus pfirsichfarbenem Satin trug, aber dazu Rolling-Stones-T-Shirts, zerrissene Jeans und jede Menge Kajal. Sie hatten sie in eine 1500 Pfund teure verzierte Lederjacke gesteckt, und ein Haarstylist hatte ihr dichtes blondes Haar in eine Lockenfrisur im Stil der Sechzigerjahre verwandelt, die ihr wie Wasser auf die Schlüsselbeine floss. Sie hatte unglaublich ausgesehen.
    »Und, äh, wieso ist Richard ein   … äh, ein   … Idiot?«
    Rachel schaufelte sich ein paar Erbsen in den Mund und setzte zu einer Antwort an.
    »Den Mund geschlossen halten, bitte, Liebes, während du isst«, wisperte Rita und setzte ein schalkhaftes Lächeln auf, das ihren Worten die Spitze nehmen sollte. Innerlich wappnete sie sich schon gegen die Reaktion, die Schimpfkanonade, die zugeknallte Tür.
    Rachel kaute schnell und gereizt. Frustration braute sich in ihr zusammen. Als ihr Mund leer war, zog sie eine Augenbraue hoch. »Er hat meinen Geburtstag vergessen.«
    Rita blickte auf ihre Hände, die runzlig und mit kleinen braunen Punkten bedeckt waren, wo ihre Haut im Laufe der Jahre zu viel Sonne abbekommen hatte. Sie dachte an Rachels

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