Ein Tag in Barcelona (German Edition)
ein kleines Problem. Ein paar Rotzgören sind mir heute im wahrsten Sinne des Wortes auf die Eier gegangen. Ich hab sie rausgeschmissen – und jetzt schau dir diese Schweinerei an!«
Piqué war die Sache sehr peinlich. Er entschuldigte sich, verschwand in der Wohnung und kam mit einem Wischmopp wieder: »Ich mach das weg.«
Manel schmunzelt darüber noch heute. »In England nennt man Piqué nicht umsonst sweeper .« Ausputzer.
Die Geschichte von Piqué ist aber nicht die einzige, die beim gemeinsamen Absacker über dem Tisch hängt. Die andere erzähle ich, und sie handelt davon, wie ich um ein Haar erblindet wäre, die Liste meiner Gebrechen also fast noch länger geworden wäre. Denn ich bin auch halb taub.
Dass das so ist, liegt daran, dass ich in Köln mit ein paar Freunden eine Band hatte, deren Name so peinlich war, dass ich ihn lieber für mich behalte. Ich spielte erst mehr schlecht als recht Bass und sang dann wenig passabler, aber dafür umso lauter. Natürlich schlug ich alle Ratschläge in den Wind, mir Stöpsel in die Ohren zu stecken, wenn ich vorm Verstärker stand. Ohrstöpsel? Ich?
Ich bin doch keine Lusche, sagte ich.
Seither bin ich ein grandioser Nicker geworden. Ich nicke sogar dann, wenn ich nichts verstehe. Oder nichts richtig. Meistens geht das gut. Man ahnt ja gar nicht, wie einfach man den Leuten vorgaukeln kann, dass man angestrengt zuhört. Manchmal geht es aber leider auch so richtig daneben. Ich weiß, wovon ich rede, denn fast wäre mein erstes Date deswegen geplatzt.
Ich muss siebzehn oder achtzehn gewesen sein, so genau weiß ich das nicht mehr, als ich in Köln ein Mädchen kennenlernte. Eine wunderhübsche, junge Frau namens A., die mich Gott sei Dank nicht mehr darauf ansprach, dass ich in »Verbotene Liebe« mitgespielt hatte.
Das war mir schon damals nicht angenehm gewesen, weshalb ich mir recht früh beim Regisseur einen sanften Tod erbeten hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. A. jedenfalls stammte aus Bonn, und sie lockte mich in ihr Revier, eine Studenten-Disco ganz in der Nähe vom Bahnhof. Hieß sie nicht Carpe Diem? Oder doch Carpe Noctem? Egal.
Über eine Treppe, das weiß ich noch, ging’s hinunter in einen ziemlich dunklen, für meine Begriffe großen Raum, doch wir stellten uns an die Theke, und ich mimte einen auf cool. Auf obercool. Und bestellte zwei Bier.
»Ich weiß gar nicht, was die Leute an dir finden«, sagte sie.
Hä? dachte ich.
Ich merkte, wie das Blut in meinem Kopf pochte. Wie in Trance ging ich zur Toilette. Sauer, gedemütigt, wütend. Ich schaute in den Spiegel und warf mir am Waschbecken Wasser ins Gesicht.
Was sollte das? fragte ich mich. Wieso lässt die mich hier antanzen? Um sich an einem Seriendarsteller abzuarbeiten?
Entsprechend geladen stapfte ich wieder hinaus. Nicht bloß aus der Toilette. Aus dem Laden. Ich schnappte meine Jacke und ging. Und sie kam hinterher.
Am Busbahnhof hatte sie mich gestellt.
»Sag mal, hast du sie noch alle?«, schrie sie.
»Ich??«, brüllte ich zurück. »Beleidigst mich erst und fragst mich dann, was in MICH gefahren ist? Hast DU sie noch alle?«
»Was ist denn los? Wieso beleidigt? Ist dein Vater Bierbrauer oder was?«, fragte sie.
Hä? dachte ich schon wieder. Bierbrauer? Dann merkte ich, wie erneut das Blut in meinem Kopf pochte. Denn plötzlich dämmerte mir: Sie hatte »Bier« gesagt. »Ich weiß nicht, was die Leute an Bier finden.« Nicht: »an dir «. Als ich mich einigermaßen gefasst hatte, klärte ich das Missverständnis auf. Dann lachten wir beide – und knutschten. Aus der Beziehung wurde leider trotzdem nichts.
Die Geschichte meiner Blindheit, oder Quasi-Blindheit, war weit dramatischer. Und sie geschah in Barcelona. In Gràcia, um genau zu sein.
Ich war, wie ich ja schon erwähnt habe, dorthin gezogen, um mich auf »Salvador« vorzubereiten. Der Film, für den Manel mich rekrutiert hatte, erzählt die Geschichte von Salvador Puig Antich, einem jungen Mann, der auch heute sehr gut nach Gràcia passen würde. Er war ein katalanischer Antifaschist, doch er lebte zu einer Zeit, da ebendas ein lebensgefährliches Unterfangen war.
Auf Demonstrationen sieht man das Foto von Puig Antich manchmal heute noch, denn er wird nicht nur in Gràcia wie ein Märtyrer verehrt. Ihm war ein Polizistenmord zur Last gelegt worden. Obschon nie bewiesen wurde, dass die tödliche Kugel wirklich aus seiner Waffe stammte, wurde er zum Tode verurteilt. Puig Antich war einer der letzten
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