Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Barceloneta. Aber jetzt mache ich mich erst mal auf in die Calle Muntaner, zu Manel. Und während ich durch die Straßen schlendere, begegne ich immer mehr Hungrigen, die ihre zweistündige, heilige Mittagspause antreten.
Es ist kurz nach zwei. Ich bin also überpünktlich. Für spanische Verhältnisse jedenfalls.
»¿Sííííí?« , knarzt es aus der Gegensprechanlage.
Die tiefe, respekteinflößende Stimme von Marta, Manels Frau, erstaunt mich immer wieder. Überhaupt ist es ein Phänomen, dass die Stimmen spanischer Frauen tiefer sind als aus anderen Ländern. Ob das an den Stimmbändern liegt? An der spanischen Phonetik? Oder daran, dass die alle rauchen? Ich weiß es nicht, aber ich liebe die Stimmen spanischer Frauen.
Die Tür öffnet sich mit einem Summen, und schon bin ich in einem dieser prächtig herrschaftlichen Treppenhäuser mit weißem Marmorfußboden und aufwendig verziertem, winzigem Fahrstuhl, der seit über hundert Jahren die Bewohner des Hauses an einem erschreckend dünnen Stahlseil auf ihre Stockwerke befördert.
So schön ich diese Lifts auch finde, ich bevorzuge es, die sechs Etagen zu laufen. Zumal jetzt, da ich die heiligen Bohnen für Manels Paella in den Händen halte. Als ich sie ihm zeige, strahlt er.
Ich bin ausgesprochen gern bei Manel zu Gast. Nicht nur dann, wenn er zu Paella-Gelagen lädt, sondern auch sonst. Schon wegen seiner unglaublichen Wohnung.
Sobald man den glitzernden Perlenvorhang hinter der Eingangstür beiseitegeschoben hat, betritt man eine Märchenlandschaft. Die Wände sind mit Fresken bemalt, über dem Himmelbett von Manels Tochter Maria prangt in goldenen Lettern eine mittelalterliche Legende über die Kinderkreuzzüge, gemalt von Manel persönlich. In den anderen Räumen stapeln sich Andenken aus aller Herren Länder wie in einem phantastischen Trödelladen aus einem Film. Im Flur wird man von einer Schaufensterpuppe mit Federboa willkommen geheißen, meine Jacke lege ich auf eine enorme Truhe, in der jeder einen Piratenschatz vermuten muss. Neben einem verstaubten Grammophon liegt ein tonnenschwerer Kronleuchter, der noch aufgehängt werden muss, zwei riesige Porzellanfiguren aus China halten mit ihrem Gewicht diverse Weltkarten verschiedener Jahrhunderte. Die riesige Wohnküche ist voll mit Köstlichkeiten, Gewürzen, Ölen und Weinen. Die Regale sind bis unter die Decke mit Kochbüchern und Fotoalben aller Art gefüllt.
Ein weiterer Samtvorhang lädt in das Herzstück dieser Wohnung ein, Manels Paradies, an dem er jahrelang gearbeitet hat: ein echtes Kino. Und zwar das schönste, das mir je untergekommen ist.
Die Decke ist das Himmelszelt. Von dort oben leuchten handgemalte Sternbilder, jedes davon ist namentlich einem Freund gewidmet. Schwere bordeauxrote Vorhänge verdunkeln den Raum auf Knopfdruck. Obwohl: Das Tageslicht habe ich hier noch nie gesehen. Massive, geschnitzte und vergoldete Säulen, auf denen Putten thronen, umrahmen die Leinwand, vor der ebenfalls ein edler Samtvorhang hängt. Dieser öffnet sich dann bei Filmbeginn mit einem Seufzen, wie in einem Lichtspielhaus vergangener Zeiten.
Die Filme purzeln förmlich aus den Regalen, das ganze Zimmer ist voll von ihnen, auf Zelluloid, VHS , DVD und Blu-ray. Richtige Raritätenschätze verstecken sich in diesem organisierten Chaos, unter ihnen beispielsweise völlig unbekannte Kurzfilme, die Manel mit Almodóvar gedreht hat, als sie beide zwanzig waren. Oder die Clásico -Sammlung aller jemals aufgezeichneten Begegnungen zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid.
In der Mitte des Kinos steht ein abgewetzter Eames Chair, auf dem Manel schaltet und waltet, um ihn herum stapeln sich Beamer, Verstärker, Computer, verschiedene Audio- und Video-Abspielgeräte und ein Filmprojektor. Man kommt sich vor wie im Kontrollraum des Raumschiffs Enterprise, und Manel ist der Captain. Tatsächlich verbringt er hier die meiste Zeit seines Lebens. Hier schaut er sich Filme an oder hört eine von seinen bestimmt fünftausend Schallplatten, manchmal nutzt er das Kino auch als Schneideraum, in dem er eigene Filme zusammenschneidet, und er zieht sich zum Nachdenken hierher zurück.
Als Gast seines Kinos wird man von Manel wie ein Fürst behandelt, vor, bei und nach der »Vorstellung« kümmert er sich rührend um einen. Nachdem man eingetreten ist, fläzt man sich auf einen der zwölf weichen Plüschsessel oder legt sich gleich auf eine der Decken oder Berberteppiche, die den Boden säumen. Auf dem flachen
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