Ein Tag in Barcelona (German Edition)
waren, störte uns wenig. Denn die Sommernächte waren immer ein großer Spaß, vor allem wegen Marc – einem Typen, der so viel Quatsch erzählen kann, dass man denkt, er muss als Kind in einen Topf voller Witze gefallen sein, die er einem nach und nach erzählt.
In der Familie erwähnte ich die Casinobesuche lieber nicht. Dazu ist unsere Sippe zu sehr von Glücksspiel und Wetten gebeutelt worden.
Mein Opa liebte beispielsweise die Hunderennen und log sich zu Hause immer um Kopf und Kragen, wenn er gefragt wurde, wo er denn nach der Arbeit so lange gewesen sei. Als meiner Oma einmal der Kragen platzte, beschloss sie, die wunderschöne Altbauwohnung in der Nähe der Plaça de Espanya aufzugeben, um an die laute Travessera de d’Alt zu ziehen – nur um weiter entfernt von der Rennbahn zu wohnen. Sie spekulierte darauf, dass mein Opa faul genug sein würde, um die Rennbahn zu meiden. Es war in jeder Hinsicht ein schlechtes Geschäft: Die Immobilien an der Plaça de Espanya sind sogar heute noch ein Vermögen wert, da in Spanien die Immobilienblase geplatzt ist. Und mein Opa wurde wegen der »Zickerei« meiner Oma bloß mürrischer und mürrischer – derweil er mit seinen Kumpels trotzdem zu den Windhunden ging, um weiter das Geld zu verprassen.
Meine Oma stammte aus Katalonien, aus Lleida, am Fuße der Pyrenäen. Die Beziehung zu meinem heißblütigen andalusischen Großvater aus Málaga war somit per se TNT , hat aber ein Leben lang gehalten.
Mein Patenonkel César, dem ich meinen zweiten Vornamen verdanke, war auch ein Fall für sich. Mit gefälschten Papieren gab er sich als Professor an der Eliteschule in der Nähe der Plaça de John F. Kennedy aus und investierte Riesensummen in Holz aus seinem Geburtsland Panama – nur leider just zu einem Zeitpunkt, als sich keiner in Barcelona Tropenholz leisten wollte oder konnte. Das kostbare Material faulte schließlich in einem Schiffsbauch im Hafen Barcelonas so lange vor sich hin, bis es nicht mal mehr verbrannt werden konnte. Auch das hielt ihn aber nicht davon ab, seiner großen Leidenschaft zu frönen: dem Bingo. Dabei verjubelte er den Rest seines Vermögens.
Vor diesen ganzen Katastrophen war es bei meiner Tante Maribel und Patenonkel César herrlich gewesen. In dem riesigen Haus in Vallvidrera, einem Viertel auf den Hügeln Barcelonas, wurden große Familienessen veranstaltet, und wir Kinder liefen immer Wettrennen um die fünfzehn Meter lange, mit Silberbesteck und Milliarden Tellern gedeckte Tafel. Mein Onkel stoppte die Zeit. Für »Gold«, also die schnellste Runde, gab es eine große Überraschung, aber auch »Silber« und mein dicker Vetter Alejandro, der immer »Bronze« holte, gingen nie leer aus. So ergatterten wir Briefmarken, klebrige Süßigkeiten in grellen Farben oder, sehr zum Missfallen meiner Eltern, Spielzeuggewehre.
Im Sommer fuhren wir immer zum Fischen in die Pyrenäen. Manchmal durfte ich unser kleines Motorboot lenken und bekam eine alte Kapitänsmütze aufgesetzt, die mein Onkel einem Iren in der Barceloneta geklaut hatte. Ich fühlte mich, noch bevor ich wusste, wer das war, so cool wie Humphrey Bogart.
Wenn ich mir jetzt aussuchen könnte, wo in Barcelona ich gerne wohnen möchte, dann wahrscheinlich in Vallvidrera. Man lebt wie in einem Dorf und ist trotzdem in zwanzig Minuten im Zentrum. Mit der Seilbahn oder mit dem Taxi.
Wenn ich mal die Zeit finde, werde ich dort hochfahren und nachsehen, ob es das Arbeiterrestaurant aus meiner Kindheit noch gibt, das einen der schönsten Blicke auf die Stadt und richtig gute patatas bravas und croquetas im Angebot hat. Anschließend würde ich an der Hausnummer 18 klopfen und den Besitzern erklären, dass ich wunderbare Kindheitserinnerungen an dieses Haus habe, und fragen, ob ich wohl eintreten darf.
An wie viel mehr erinnert man sich wohl, wenn man einen Ort, der einen geprägt hat, nach langer Zeit wieder aufsucht? Und warum macht man das so selten? Abgesehen von Besuchen bei den Eltern, wo man wieder in seinem Kinder- und Jugendzimmer übernachtet und einen plötzlich wieder Alpträume von Abiturprüfungen heimsuchen.
Was passiert wohl, wenn man sich auf die Bank setzt, auf der man zum ersten Mal geküsst hat? Wie viele Details wird das Gehirn rekonstruieren können, die einem nicht einfallen, wenn man eben nicht genau da sitzt?
Ja, das immerhin werde ich in Angriff nehmen. Gleich heute Nacht. Ich weiß ja noch genau, wo sie steht, die dritte Bank von links, am Meer, in der
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