Ein Tag in Barcelona (German Edition)
politischen Gefangenen, die unter Franco mit der Garotte, der Würgeschraube, hingerichtet wurden. 1974, gut ein Jahr vor Francos Tod.
Um Puig darzustellen, schickte mich Manel zuallererst in die Sprachschule. Ich sollte Katalanisch lernen, die Sprache also, deren offizieller Gebrauch zu Zeiten der Franco-Diktatur verboten war – und von den Katalanen dennoch gesprochen wurde. Aus Alltagsgewohnheit heraus, aber oft genug auch als eine Art Protest. Die Franco-Diktatur war nämlich nicht nur eine sehr rechte und katholische Angelegenheit, sondern auch eine sehr spanisch-nationalistische. »Sprich Christlich, katalanischer Hund!«, war eine der Beschimpfungen, die Katalanen nach dem Ende des Bürgerkriegs über sich ergehen lassen mussten. »Christlich« hieß: Spanisch. Viele Katalanen ließen ihre Kinder nicht mit katalanischen Namen taufen: Statt Jordi mussten sie Jorge, statt Miquel mussten sie Miguel heißen, statt Carles, wie Barcelonas Kapitän Pujol, Carlos. Salvador lehnte sich auch dagegen auf.
Aber ich musste nicht nur lernen, mit einer Sprache umzugehen, sondern auch mit handfesten Waffen.
Manel schleppte uns deshalb zu einem Waffenhändler namens Manolo. Und der wiederum führte uns nicht nur sein gesamtes Arsenal vor – sondern auch in den Keller seines Ladens, wo er einen Schießstand unterhält. Mit seiner Ansicht über Salvador hielt er nicht hinterm Berg.
»Okay, wer von euch Memmen ist der Schauspieler, der den Hurensohn mimen soll? Diesen Scheiß-Anarchosyndikalisten?«, fragte er. Oder besser: brüllte er!
Ich meldete mich nur schüchtern.
» Yo «, sagte ich. »Ich.«
Wortlos drückte er mir und den Kollegen Waffen und Munition in die Hand und deutete auf die Schießscheiben an der Wand. Später kamen Dummys herangeflogen. »Stell dir vor, das ist deine einzige Patronenladung, und du willst diesen Hurensohn umbringen«, sagte er und deutete auf die Puppen.
Es war wie im Film.
Ich hatte mir nie etwas aus Waffen gemacht. Und wenn ich etwas nie verstand, dann, warum jemand Jäger wird. Aber ich muss gestehen, je länger ich mit den Dingern herumballerte, umso mehr Spaß machte es mir. Es ist eine verführerische Macht, die diese Schießeisen verströmen, sie lösen seltsame Dinge in einem aus. Ich schoss und schoss, und ich hätte stundenlang vor den Pappkameraden stehen, hätte jede einzelne der Pistolen und Revolver ausprobieren können. Doch dann kam der Moment, als ich die Pistole in die Hand nahm, die ich auch im Film benutzen sollte.
Es war eine dieser Pistolen, wo die Ladung nach dem Schuss aus dem Lauf herausfliegt. Manchmal sieht man das im Fernsehen. Das Problem bestand darin, dass man es in Spanien mit Sicherheitsvorkehrungen ungefähr genauso ernst nimmt wie mit den Fußgängerampeln oder den Zebrastreifen. Man schert sich einfach nicht darum. Auch ich war nicht darauf gekommen, nach einer Schutzbrille zu fragen; und ehrlich gesagt bin ich mir ziemlich sicher, dass Manolo, der Waffenhändler, mich bloß ausgelacht hätte. »Eine was?«, hätte er gefragt und meine Heterosexualität in Frage gestellt.
Unter normalen Umständen wäre wahrscheinlich nichts passiert, doch Manolo war ein wichtiges Detail entgangen, von dem ich nicht wusste, dass es entscheidend sein könnte. Nämlich dass ich Linkshänder bin.
Die Ladung der Pistole fliegt beim Schuss nach rechts heraus, bei Rechtshändern also vom Körper weg. Bei Linkshändern hingegen fliegt die Ladung auf den Körper zu. Bei mir ging das ins Auge. Leider nicht nur sprichwörtlich. Ich merkte sofort, dass mir da irgendetwas hineingeflogen war. Irgendetwas störte, irgendein seltsamer Schatten. Doch die Kollegen, die mir die Augenlider und die Haut der Wange nach oben und unten zogen, konnten nichts entdecken. Auch Manolo nicht.
»Mach dir keine Sorgen«, brummte er bloß, und es klang ein bisschen wie: »Jetzt stell dich nicht so an, du Tunte.« Doch weder das seltsame Gefühl noch der Schatten wollten weichen. Ich rief meine Mutter an, in Köln, und sie nannte mir einen Augenarzt auf dem Montjuïc. Rafael Barraquer. »Ein Magier«, sagte sie, »er ist der Beste der Welt, geh sofort hin.«
Also machte ich mich auf den Weg in die Calle Muntaner. Ich erinnere mich noch, dass ich extrem beeindruckt war. Die Klinik war eine einzige Marmorhalle, im Empfangsraum stand eine riesige, goldene Uhr, und im Wartezimmer saßen Scheichs und Japaner – alle mit atemberaubenden Augenbinden.
Als ich dann vor dem Arzt saß und er mein
Weitere Kostenlose Bücher