Ein Tag in Barcelona (German Edition)
lockt in Fallen. In süße und bittere.
Schon meine Eltern gingen dort aus, in Läden, die ich dann als Teenager für mich entdeckt habe. Wie viele Stunden habe ich dort getanzt, welche wichtigen Freundschaften wurden dort geschlossen, vor was für unangenehmen Typen an dunklen Ecken bin ich weggelaufen, wie viele chupitos, Kurze, gingen über den Tresen, wie oft hab ich mich dort verguckt? Wie oft habe ich in die blassen Morgenstunden geblinzelt und bin alleine nach Hause gestolpert, müde und glücklich?
Getanzt habe ich schon als kleiner Hänfling im Moog – am liebsten oben in dem streichholzschachtelgroßen Raum, bei dem DJ , der beim Auflegen in Ekstase geriet. Ich habe mit meinen Kumpels im Marsella nächtelang gequatscht, philosophiert und die Welt verändert, wir haben Absinth getrunken und gehofft, dass uns ein zeitgenössischer Toulouse-Lautrec malen würde. Dann überließen wir uns der Nacht, machten uns auf die Pirsch in die Paloma, tranken etwas im Benidorm, hofften auf lustig skurrile Begegnungen im Kentucky oder begaben uns spät gar in den Vorraum der Hölle, das Antro Casita Azul, eine illegale, aber geduldete After-Hours-Kaschemme.
An all diese Orte denke ich mit Sehnsucht zurück und erinnere mich zum Teil an legendäre Nächte, die sich auf ewig eingebrannt haben.
Wenn ich etwas liebe, dann den melancholischen Glückszustand, in dem ich das letzte Lokal verlasse. Ich bin traurig darüber, dass man einen einzigartigen Tag nicht für immer festhalten kann, dass er sich nicht wiederholen lässt und man irgendwann sogar wichtige Einzelheiten vergisst. Und überhaupt, dass nichts so bleibt, wie es ist. Gleichzeitig bin ich glücklich darüber, dass es so ist. Ich bin froh, die Freunde zu haben, die ich habe. Ich bin froh, diese Stadt als Freundin zu haben, die wie alle schönen Frauen kompliziert und ein wenig eingebildet ist, aber auch sympathisch und herzlich.
Ich werde dich immer lieben, Barcelona, scheißegal, was die anderen sagen. Die Madrilenen, die sich über deine Provinzialität lustig machen und sagen, dass du nachts ein eingeschlafener Fuß bist, die Pariser und Mailänder, die die Nase rümpfen, weil du angeblich nicht schick genug bist, die immer coolen Londoner und Berliner, die sagen, dass du passé bist, nicht mehr en vogue, dass es sich ausdesigned hat, dass deine Attraktivität nur noch von den Neunzigern zehrt, als du noch in schrillen Farben geleuchtet hast, die jetzt angeblich verblasst sind …
Lass die Idioten doch reden! Auch ich habe dir schon solche Dinge an den Kopf geworfen. Verzeih mir das, meine Geliebte, das war nicht so gemeint, da hatte ich einen zu viel intus. Ich habe dir so viel zu verdanken! Wie viel habe ich hier erlebt, wie sehr hast du mich geformt und geschult! Verliebt habe ich mich hier Dutzende Male, in dich, deine Kunst, deine Häuser. Dein Essen, deine Menschen, deine Komplexe. Dein Meer, dein Licht, deine Märkte, deinen Fußball, deinen Sonnenaufgang.
Sonnenaufgang – ja, den will ich auch heute, ich will mit dir aufwachen und mich dann schlafen legen, ich will dich in einen neuen Tag begleiten, der für mich ein ruhiger wird und für andere so aufregend wie mein heutiger. Du wirst tausend schöne Träume bereiten und für hundert Alpträume sorgen. Leute werden beseelt heimkehren und überschwänglich von dir erzählen, es werden dir zu Ehren langweilige Dia-Abende veranstaltet werden, mit Käsepickern und Kopfschmerz-Sangría.
Es wird auch welche geben, die dich hassen und dich nie wiedersehen wollen, die du mit Regen enttäuscht hast, obwohl du doch immer, verdammt noch mal, sonnendurchtränkt strahlen sollst! Du sollst nicht weinen wie die Jammerlappen London oder Hamburg, du bist die Fiesta Queen.
Du und ich wissen beide, dass dem nicht so ist, aber wer erklärt das denen, sie müssen da selber durch. Sie müssen selber feststellen, dass du teurer bist als gedacht, dass man bei dir mit dem frisch bewältigten Spanisch-Kurs keinen Blumentopf gewinnen kann, dass du muffiger und ruppiger sein kannst, als man meinen könnte, wenn man sich voller Vorfreude deine Modelfotos in Reiseführern anschaut.
Ich schlurfe in leise Selbstgespräche verwickelt über die Rambla und hoffe, dass keiner mich hört und sieht. Die Straßen sind fast leer. Ein paar Autos schleichen sich in pastellfarbenes Nichts, wo blassgrüne Punkte sie zum Weiterfahren animieren. Ich überquere den Passeig de Colom und sehe die Schiffe im Hafen schlafen, müde fette
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