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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearson Mary E.
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viel unspannender. Wir müssen immer mit meinem Vater mitziehen. Er berät internationale Unternehmen, die in einer Krise stecken. Wenn er der betreffenden Firma dann aus der Klemme geholfen hat, ziehen wir zum nächsten Krisenherd weiter.«
    »Vielleicht kann dein Vater ja auch uns aus der Klemme helfen«, werfe ich ein.
    Aidan brummt: »Da müsste sich schon der Präsident persönlich für uns einsetzen.«
    »Also ich finde das total interessant, Seth! Warum willst du nicht, dass es jemand erfährt?«, fragt Mira.
    »Weil mir die Geschichte inzwischen zum Hals raushängt. Wenn man andauernd umzieht und ständig dasselbe erzählen muss, kommt man sich irgendwann wie ein Papagei vor.«
    »Was für Sprachen sprichst du denn?«, erkundigt sich Aidan.
    »Englisch, Französisch, Deutsch, Portugiesisch und ein bisschen Tagalog.«
    »Tagalog?«
    »Das sind aber fünf Sprachen«, wendet Mira ein.
    »Meine Tagalog-Kenntnisse reichen gerade mal aus, dass ich fragen kann, wo es zum Klo geht. ›Zielgerichtetes Tagalog‹, sag ich immer.
Nasaan ang palikuran?
«
    Mira und Aidan lachen über die näselnden Laute. »Sag noch was!«
    »Ang Tagalog ko ay mali!«
, näselt Seth mit zerknirschter Miene.
    »Und was heißt das?«
    »Ich spreche nicht gut Tagalog.«
    »Besser als wir allemal«, entgegnet Aidan.
    Ich betrachte Seth, denke daran, wie er vor zwei Monaten nach Hedgebrook kam und wie ich ihn seither heimlich beobachtet habe, immer darauf bedacht, dass Mira nichts mitkriegt. Wie oft habe ich beim Frühstück in meine Haferbreischüssel gestarrt, in Wirklichkeit aber jedes Wort verfolgt, das er mit Mrs Wicket gewechselt hat, die jedes Mal gleich viel munterer klang, weil er sie mit seinen Bemerkungen von ihrem Tee, ihrer Zeitung und der unlösbaren Aufgabe ablenkte, die grundverschiedenen Teilnehmer unserer Frühstücksrunde irgendwie zusammenzubringen. Anhand meiner Beobachtungen glaubte ich ihn ganz gut zu kennen. Komischerweise habe ich jetzt, wo ich mehr über ihn erfahre, Zweifel, ob ich ihn auch nur ansatzweise kenne.
    »Na ja, ich spreche vermutlich besser Tagalog als die meisten Leute. Luzón ist eine ziemlich abgelegene Insel. Solltet ihr doch mal hinkommen und nach dem Klo fragen wollen, wendet euch vertrauensvoll an mich.«
    »Werd’s mir merken«, sagt Aidan.
    »Und wo hat es dir am besten gefallen?«, frage ich.
    »In einer kleinen Stadt an der deutsch-österreichischen Grenze«, erwidert er wie aus der Pistole geschossen, und ein leises Lächeln umspielt seine Mundwinkel. »Meistens haben wir in möblierten Wohnungen gelebt, aber dort hatten wir zum ersten Mal ein Haus. Das war klasse. Ein Haus und Nachbarn. Sogar einen Garten.«
    »Wie alt warst du da?«
    »Neun. Wir waren noch keine Woche eingezogen, da hab ich einen streunenden Hund angeschleppt. Ich hatte noch nie einen Hund gehabt. Mein Vater meinte zwar, wir könnten ihn nicht behalten, weil wir so oft umziehen, aber der Hund ist einfach dageblieben. Er hatte mich adoptiert und ich ihn. Irgendwann hat mein Vater dann nachgegeben, aber ich musste ihm versprechen, kein Theater zu machen, wenn wir vor unserem nächstem Umzug für den Hund ein neues Zuhause suchen. Ich hab’s versprochen, aber mit neun glaubt man noch nicht, dass man irgendwann endgültig Abschied nehmen muss.«
    »Und so ist es dann gekommen?«
    Er nickt. »Wir haben ein ganzes Jahr dort gewohnt, so lange wie nirgendwo anders. Dadurch war es noch schwerer. Der Hund klebte richtig an mir. Er schlief sogar bei mir im Bett. Ihn wegzugeben war …« Er macht eine Pause, und wir können uns schon denken, was jetzt kommt. »Mein Dad hat mir erklärt, dass das arme Tier mehr Zeit in Quarantäne verbringen müsste, als es mit mir zusammen sein könnte, so oft, wie wir umziehen. Darum war dieser Hund mein erstes und einziges Haustier. Danach hab ich aber auch keins mehr gewollt.«
    »Wie hieß denn dein Hund?«
    Seth schaut mich an, lächelt gequält und schaut wieder geradeaus auf die Fahrbahn. »Ist doch egal.«
    Ich betrachte den zwischen uns liegenden Lucky. Dass wir ihn von der Straße aufgelesen haben, war kein bloßer Zufall. Auch nicht, dass Seth ihn Lucky getauft hat. Es ist nur gerecht, dass Seth etwas wiedergefunden hat, was ihm damals genommen wurde. Trotzdem … wir haben den neunzehnten Oktober, und das ist nun mal ein Unglückstag. Bestimmt fahren wir noch an der Herde vorbei, zu der Lucky eigentlich gehört, und Seth muss sich wieder von ihm trennen. Dann ist es meine Schuld, dass

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