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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearson Mary E.
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beobachte, kommt es mir vor, als entdeckte ich eine ganz neue Welt. Vielleicht ist es ja so.
    Seths und meine neuen Klamotten machen nicht so viel her, sind aber entschieden kleidsamer als unsere sackartigen Schuluniformen. Seth hat sich eine Jeans ausgesucht und trägt dazu ein verblichenes, grünes Hemd mit langen Ärmeln, die er hochgekrempelt hat. Ich bin von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet: figurbetontes, kurzärmliges T-Shirt und halblanger Rock mit zipfeligem Saum. Mira findet zwar, dass ich düster und langweilig aussehe, aber der Zipfelsaum war das Gewagteste, wozu ich mich durchringen konnte. Nur unsere Schuhe sind noch dieselben: die Internats-Einheitshalbschuhe. Schuhe sind das Einzige, woran Babs ein bisschen knapp ist.
    Ich halte ihr den Hundertdollarschein hin. Sie nimmt ihn zwar, mustert mich aber dabei forschend.
    »Der Schein ist echt«, sage ich.
    Sie legt den Kopf schief. »Kennen wir uns?«
    Ich schaue weg. »Ich glaube nicht.« Ich erinnere mich nicht an Babs, auch nicht an ihren Namen, aber ich sehe meiner Mutter ähnlich, habe ihre goldbraunen Augen.
    Sie reicht mir das Wechselgeld. »Hast du mal Klavierunterricht gehabt?« Sie lässt mich nicht aus den Augen. Hinter mir klimpert Aidan eine schiefe Melodie auf dem alten Klavier. Die Töne wecken ein Echo in mir.
Miss Barbara
 – so hat sie sich damals genannt. Immer fröhlich, den Arm voller Noten. Und sie hat mir immer ein in geblümtes Papier gewickeltes Zitronenbonbon geschenkt.
    »Nö«, sage ich. »Noch nie.«
    Babs fällt drauf rein. »Ach, hier schauen so viele Leute vorbei … da kommt mir öfter mal jemand bekannt vor.« Sie dreht sich um und nimmt etwas von einem Haken an der Wand. Eine lange blaue Leine mit einem strassbesetzten Halsband dran. »Eine Kleinigkeit für euren Struppi. Geschenk des Hauses.« Sie überreicht Seth Halsband und Leine. Er nimmt beides nur zögerlich entgegen und sieht mich dabei fragend an.
    »Ach so –
Struppi!
«, ruft er dann, als er kapiert, dass Leine und Halsband für Lucky gedacht sind.
    Jaa-uuuuuuuuf!
    »Ein Kunde! Pete ist zuverlässiger als jede Ladenglocke.«
    Wir drängen uns ans Fenster. Ein großer Mann klettert mit erschrockener Miene aus seinem Auto und rennt die Treppe hoch. Babs hatte recht. Wir müssen lachen.
    Was die Klavierstunden betrifft, hat sie auch recht.
    Aber nicht ich bin ihre Schülerin gewesen, sondern meine Mutter. Ich durfte während der Stunde immer mit auf dem Klavierhocker sitzen. Ich habe meinen Kopf in ihren Schoß gelegt und zugehört. Für mich war es die allerschönste Musik der Welt. Aber irgendwann wurde Mamas Bauch so dick, dass mein Kopf keinen Platz mehr hatte. Mama meinte, ich dürfte auch irgendwann Unterricht nehmen, aber dazu kam es nicht mehr. Es drehte sich alles nur noch um meinen Bruder. Meinen Bruder, den sie behalten haben. Der noch hier in Langdon lebt.
    Als wir wieder vor dem Auto stehen, breitet Mira die Arme aus und dreht sich im Kreis. »Wir sehen
phantastisch
aus!«, jubelt sie.
    Ich betrachte unser Rot, Grau und Schwarz, das verwaschene Grün und Luckys wolliges Weiß – Langdons neue Farben, unverfälscht von Erinnerungen, und es durchfährt mich zugleich schmerzhaft und berauschend, als träte man nach langem Aufenthalt im dunklen Zimmer in den strahlenden Sonnenschein hinaus. Ich bin wie geblendet, habe sogar Kopfschmerzen, dann kann ich wieder deutlich sehen. Die Welt ist wieder scharf umrissen, die Farben leuchten. Phantastisch. Stimmt.
    Seth nickt mir zu. »Bin ganz deiner Meinung, Mira.«
    Mein Magen macht einen Hüpfer. »Jetzt noch Schuhe«, sage ich. Ich bin vom Schwung des Tages mitgerissen, will, dass alles wahr und wirklich ist.
    »Weiter geht’s!«, ruft Mira.
    Mein Herz klopft wie verrückt. Weiter.
    Ich öffne die Wagentür und halte inne. Manche Tage sind tatsächlich durch und durch ungewöhnlich. Quer über den Vordersitzen liegt eine wunderschöne Pfauenfeder. Gerade an der richtigen Stelle, in jeder Hinsicht perfekt.
    »Wo kommt die denn her?«, fragt Seth erstaunt.
    »Von Pete jedenfalls nicht«, witzelt Mira.
    Aidan lässt den Blick über den Parkplatz wandern. Kein Pfau lässt sich blicken. »Vielleicht hat der Wind die Feder ja von der Veranda rübergepustet.«
    Es ist völlig windstill, das ist auch den anderen nicht entgangen. Aidan schon gar nicht.
    »Muss wohl so gewesen sein«, sage ich.

18
    Für mich stand immer fest, welche Stellung ich in der Familie einnehme. Welche Sechsjährige hätte je daran

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