Ein Tag ohne Zufall
Drink untergejubelt?«, sagt Aidan skeptisch. »Schließlich gab es was zu feiern.«
»Aidan!«, sagt Mira vorwurfsvoll.
Aidan zuckt bloß die Achseln.
»Vielleicht musst du endlich akzeptieren, dass es solche ungewöhnlichen Zufälle gibt, Aidan«, sage ich.
Seth beißt in seinen Hotdog. »Nein, die beiden wurden nicht vergiftet. Der Typ von der Führung meinte, das Ganze wäre einfach ein erstaunlicher Zufall.«
Mira schluckt den letzten Bissen runter und trinkt einen großen Schluck Limo nach. »Als ich klein war, hab ich mit meinen Freundinnen Hüpfkästchen gespielt. Ich hab meine Schlüsselkette in das nächste Feld geworfen, und so, wie die Kette dalag, hat sie genau ausgesehen wie meine Anfangsbuchstaben: MP , von Mira Peach.«
Auweia. Nur Mira kann auf die Idee kommen, zwei Todesfälle mit einem Kinderspiel zu vergleichen. Seth und Aidan liefern ihre Kommentare dazu, es geht hin und her. Ich höre zu und denke: Das eigentlich Erstaunliche ist doch, dass ich auf einer Bank sitze, einen Hotdog futtere und einfach mal nicht dran denke, was dieser Tag bedeutet. Dass ich einen Tag lang jemand anders bin. Dass ich an diesem besonderen Tag mache, was
ich
will, statt dass wie sonst der Tag mit mir macht, was
er
will. Verkehrte Welt.
Seth stößt mich absichtlich mit dem Arm an. »Woran denkst du?«
Ich denke, dass sich sein Arm ein bisschen zu sehr zu meinem Arm hingezogen fühlt. Dass ich anscheinend vergessen habe, wie gefährlich es ist, Nähe zuzulassen. Dass ich mir jedes Härchen auf seinem Unterarm mit dem hochgekrempelten Ärmel einpräge. Ich denke, wenn er mich noch ein Mal so anstupst, sieht mich Mira garantiert vielsagend an, und dann kann ich mich nicht mehr beherrschen, ihr eine reinzuhauen. »Ich denke grade, dass ich gern weitergehen würde.«
22
Auf den Straßen von Langdon ist ganz schön was los. Jetzt ist richtig Mittagszeit, der Verkehr wird dichter, die Bürgersteige werden voller. Wir mussten schon drei weiteren Bewunderern etwas über unseren Schafspudel erzählen. Einer besonders hartnäckigen Frau habe ich sogar Namen und Telefonnummer des Züchters gegeben.
»Wessen Nummer war das?«, erkundigt sich Mira hinterher.
»Die von Rektor Cox.«
»Der Obernazi von Hedgebrook?«, lästert Seth.
»Wieso weißt du seine Telefonnummer auswendig?«, fragt Aidan mit einer Stimme, die zwei Oktaven höher ist als sonst.
»Ich habe bekanntlich ein gutes Zahlengedächtnis.«
Seth knurrt: »Er wollte mir nicht mal zuhören, als mich Bingham in sein Büro geschickt hat. Hoffentlich ruft die Frau fünfzigmal am Tag an.«
Wir lachen, und Seth tätschelt Lucky den Kopf. Ich habe den Eindruck, er vergisst allmählich, dass Lucky eigentlich kein Hund ist. Wir sind jetzt in der Altstadt und kommen an der offenen Auslage eines altmodischen Metzgerladens vorbei. In der Glasvitrine liegen verschiedene Fleischsorten, halbe Tiere hängen an Haken.
»Iiih!« Miras Ausruf und ihre gerümpfte Nase sprechen uns allen aus der Seele. Das undefinierbar zerkochte Fleisch im Internat hat irgendwie auch seine Vorteile. Seth und ich entdecken gleichzeitig die rosafarbenen Lammhälften. Seth nimmt Lucky auf den Arm.
»Nicht hinschauen, Kleiner.«
Wir gehen weiter. Ein Lämmchen gerettet. Wenigstens dafür war dieser Tag gut.
Im Gehen unterhalten wir uns darüber, was wir machen wollen, wenn wir uns neue Schuhe zugelegt haben. Aidan ist für Kino, wird aber überstimmt. Mira schlägt einen Freizeitpark vor und fragt mich, ob es in Langdon einen gibt. »Eher nicht.« Seth meint, er sei vollauf damit zufrieden, einfach rumzulaufen und alles so zu nehmen, wie’s gerade kommt. Was er wohl mit
alles
meint? Davon abgesehen, dass sich vier Schüler unerlaubt vom Schulgelände entfernt haben, vermisst ein gewisser Autobesitzer inzwischen garantiert sein Fahrzeug. Hoffentlich ist
alles
nicht ein ganzer Trupp Polizisten, der unsere Verfolgung aufgenommen hat. Um mich selber mache ich mir dabei noch die wenigsten Sorgen. Mr Anwalter wird die Sache wie immer in die Hand nehmen, und ich werde im nächsten Internat untergebracht. Schulverweis hin oder her – meine Eltern stoßen ihre Reisepläne deswegen bestimmt nicht um. Schon gar nicht am Geburtstag meiner Mutter. Ein paar Anrufe, ein dicker Scheck, und die Sache ist aus der Welt. Geld ist nicht das Problem – ich bin das Problem.
Mira hat ihre Meinung geändert. »Ich finde Seths Vorschlag gut. Bis jetzt haben wir gar nichts geplant, und es ist doch super gelaufen.
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