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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearson Mary E.
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das man nicht erklären kann. Vielleicht muss man auch gar nicht alles erklären können. Aber schon, als ich heute Morgen zu dir ins Auto gestiegen bin, habe ich gespürt, dass der Tag irgendwie besonders ist. Dass es so ein Tag wird, wie man ihn nur einmal erlebt.« Er zieht mich an sich. »Übrigens will ich grade nicht nur nett sein und sagen, was du hören willst. Ich mein’s ehrlich. Heute ist so ein Tag. Heute müssen sich deine Eltern endlich anhören, was du ihnen sagen willst. Vielleicht ändert sich dann ja was …«
    »Ich schaff’s nicht, Seth, ich schaff’s nicht! Ich schaff das einfach nicht. Das kannst du nicht verstehen. Ich hab mich geirrt. Ich hab alles falsch gemacht. Wir müssen wieder ins Internat fahren, wie du vorhin gesagt hast. Wir müssen zurück. Wir müssen …«
    »Jetzt sind wir so weit gekommen, Des, da kannst du nicht einfach kneifen!« Wie vorhin nimmt er mich an beiden Armen und hält mich fest. »Wir sind doch bei dir.«

33
    So weit sind wir gekommen.
    So weit. Aber der Ort, an den wir gereist sind, ist kein ungefährlicher Ort. Es ist kein gewöhnlicher Ort, ist nicht einfach ein Punkt auf einer Landkarte, sondern dieser Ort liegt auch tief, tief in meiner Vergangenheit vergraben. Es ist ein Ort voller Zorn und Scham. Ein Ort, an den mich vor dem heutigen Tag niemand begleiten konnte. Warum ich immer alle Leute vergraulen muss? Seth fragt mich das, als wäre er der Erste, dem es so ergeht. Wie kann er von einem Kind verlangen, darauf eine Antwort zu wissen? Genauso gut könnte er mich fragen, warum der Mensch atmet und isst. Weil man muss, darum. Weil es lebensnotwendig ist. Woher soll eine Siebenjährige das wissen? Aber die Leute fragen trotzdem.
    So weit …
    Ein Ausflug hat mich hergeführt. Ein Ausflug, der gar nicht hätte stattfinden dürfen. Hat er aber. Weil ich gehandelt habe, wie Seth meinte? Oder weil ich zufällig im Park einem Gastlehrer begegnet bin? Weil ich ein Kalenderblatt in den Papierkorb geworfen habe? Aber der Ausflug ist noch nicht zu Ende. Der Weg führt noch weiter.
Du schaffst das, Des.
Wirklich? Werden mir meine Eltern endlich zuhören? Können sie mir überhaupt zuhören? Ist heute der richtige Tag dafür? Ein Tag, wie man ihn nur einmal erlebt? Wird es mir gelingen, die Zeit zurückzudrehen und den Ablauf der Ereignisse zu ändern? Wir sind vier. Ich, Seth, Aidan, Mira. Vier. Eine Unglückszahl. Oder doch nicht? Was stimmt denn nun?
    Seth geht Lucky holen, und wir fahren wieder. Die Schlangenlinien der Zufahrt entlang. An Gruppen von Birken vorbei, deren Blätter im leichten Wind zittern. Durch das Tor mit den Steinlöwen. Zwei? Drei? Vier? Welche Zahl ist die richtige? Wir fahren zu schnell zum Zählen. Ich gebe es auf. Die Stille und die kühle Luft eines späten Oktobertages rauschen an uns vorbei. Am Straßenschild
Ravenwood
fährt Seth langsamer. Er schaut mich fragend an, und ich zeige wortlos nach rechts.
    Die Straße macht eine Biegung, vor uns erstrecken sich Hügel bis zum Horizont.
    Mira bricht das Schweigen. »Schöne Gegend.« Die Hügel sind braun.
    »Hier gibt’s keine Häuser mehr«, stellt Aidan fest.
    Keine Häuser mehr. Nur unbebaute braune Hügel, die alle mir gehören. Am Ende der Straße zeige ich nach links, und Seth biegt, ohne nachzufragen, ab.
    Wir fahren ein kurzes Stück, dann kommt eine niedrige Mauer und dann ein grünlich verwittertes, schmiedeeisernes Tor. An die Mauer und das Tor erinnere ich mich.
    »Hier!«, sage ich.
    Der Weg führt steil bergauf. Hinauf zum höchsten Punkt in der Umgebung von Langdon. Der Motor röhrt.
    Du schaffst das, Destiny.
    Aber ich habe es noch nie geschafft. Wieso ausgerechnet heute? Ich zupfe an den Blumen in meinem Schoß und streiche mir mit der Pfauenfeder über die Wange. Weich. Weich wie Babyhaar. Wie ein sanftes Flüstern.
Gib Mama ein Abschiedsküsschen. Gib deinem Bruder ein Küsschen.
Der Weg wird schmaler, führt im Zickzack bergauf, schlängelt sich zwischen Grabmälern hindurch, die grüppchenweise beieinanderstehen wie die Mitglieder einer Familie.
    »Wo willst du …«
    »Sei still, Aidan. Bitte«, sage ich tonlos. Musik dringt an mein Ohr. Musik, die ich viele Jahre lang ausgeblendet habe, die aber immer noch über die Hügel klingt und nie verstummen wird. Mamas Lieblingslied. Das Schlaflied, das sie immer auf dem Klavier lernen wollte, aber diesmal wird es von einem Dudelsack gespielt. Langgezogene, leise Töne. Sie treiben wie Nebelschwaden über der

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