Ein Tag ohne Zufall
noch an ihrem Platz. Das ganze Zimmer gleicht einem Altar für ein innig geliebtes Kind.
Ich gehe zum Bett, einem Himmelbett mit duftigen, bonbonrosa Gazevorhängen, die mit rosa Schleifen an die Pfosten gebunden sind. Ich streiche über die mit Streublümchen übersäte Steppdecke, den mit rosa Rosen bedruckten Rand. Der Stoff ist nicht mehr so weich wie früher, er ist brüchig geworden, aber die Decke ist trotzdem wunderschön. Ich setze mich auf das Bett und wippe auf und ab. Ich lache. Wieder kriege ich Staub in die Augen, so dass sie brennen und tränen. Ich wische mir mit dem Handballen die Augenwinkel.
»Ziemlich rosa, dein Zimmer …«, sagt Seth verlegen.
»Findest du so was schön, mit den ganzen Rüschen und so?«, fragt Aidan.
»Also ich find’s … süß«, meint Mira, aber ihr
süß
klingt ein bisschen angewidert, als würde jemand sie zwingen, eine Süßstofftablette zu lutschen. Es klingt nicht nach
zuckersüß und lecker
, sondern nach
süß mit ekligem Nachgeschmack
. Und das sagt mir ein Mädchen mit Plateauschuhen aus Lackleder und einem Pudelrock!
An dem Zimmer ist nichts verkehrt. Gar nichts. Aber der Augenblick ist vorüber. Ich sehe das Zimmer jetzt mit ihren Augen. Ich gehe quer durchs Zimmer zu dem Regal, in dem früher meine Kostümpuppen gesessen haben. Leer. Ich fahre mit der flachen Hand über das staubige Brett. Vielleicht hatte ja jemand ein schlechtes Gewissen und hat die Puppen weggepackt. Vielleicht wurden sie aber auch entsorgt, als ich damals entsorgt wurde. Ich schließe die Faust um das Staubhäufchen. »Glaubst du wirklich nicht, dass es so einen Tag geben kann, einen Tag, an dem alles ist, wie es sein soll, Seth?«
Seth kommt zu mir rüber. »Destiny …«
»Nur einen einzigen Tag …«
»Ich …«
»Ist ja auch egal! Vergiss es!« Ich reiße zwei Bücher vom oberen Regalbrett und schleudere sie durchs Zimmer. Noch zwei Bücher und noch zwei, in alle Richtungen. Aufs Bett, gegen die Wand, gegen die Möbel. Die Lampen auf den Tischen fallen herunter, Glasschirme zerspringen.
»Hör auf, Destiny!« Seth stürzt sich von hinten auf mich und hält meine beiden Arme fest.
»Lass mich los!«, kreische ich, aber er hält mich weiter fest.
Aidan ist ganz blass geworden. Er schaut von den Glasscherben zur Tür und wieder zurück. »Hat Mr Farrell nicht gesagt: ›Bitte keine Szene‹?«
»Klappe, Aidan!«, fährt ihm Mira über den Mund.
Eine Szene. Ja, ich mache eine Szene. Aber das hat noch nie dazu geführt, dass ich bekam, was ich wollte. Es hat immer nur alles noch schlimmer gemacht, damals wie heute. Ich lasse mich gegen Seths Brust sinken. Ich fühle mich erschöpft und so schwach, als würde nur noch er mich aufrecht halten. Er lehnt sich gegen mich, sein warmer Atem streift meinen Hals und mein Ohr. »Kann ich dich loslassen, oder fängst du dann wieder an?«, fragt er leise. Ich schüttle den Kopf.
Er lässt mich zögerlich los, als wüsste er nicht recht, ob er mir glauben kann. Mira kommt her und nimmt meine Hand. »Es tut mir so leid, Des. Für alle war heute ein schöner Tag, ein Glückstag, bloß für dich nicht. Du wolltest mit deinen Eltern sprechen, dir ein paar Dinge von der Seele reden, und jetzt sind sie nicht da. Das ist gemein. Gemein ist gar kein Ausdruck! Wenn ich irgendwas …«
»Ich weiß, wo sie hingezogen sind. Es ist ganz in der Nähe.«
Miras Gesicht hellt sich auf. »Dann nichts wie hin!«
»Je schneller, desto besser«, pflichtet ihr Aidan bei. »Bevor dein Mr Farr…«, er wirft mir einen schiefen Blick zu, »… ich meine, dein Mr Anwalter sieht, was du angerichtet hast.«
Seth deutet mit dem Kinn auf die Tür. »Auf geht’s.« Aidan und Mira trippeln auf Zehenspitzen in den Flur hinaus, Seth wartet auf mich. Er legt mir die Hand auf den Arm.
»Was ich vorhin gesagt habe, Des … Dass du in einer Phantasiewelt lebst und dass du spinnst und so … Ich habe nicht gemeint, dass du richtig spinnst. Dass du verrückt bist oder so. Echt nicht. Ich hatte bloß Schiss. Vielleicht war ich auch irgendwie sauer. Und übrigens glaube ich schon, dass es Tage gibt, an denen alles ist, wie es sein soll. An denen das Gute siegt. Warum soll das nicht mal einen ganzen Tag lang so sein? Vielleicht liegt es einfach an uns selber. Vielleicht müssen wir uns einfach anstrengen, uns einen Ruck geben und handeln oder so. Oder es ist noch etwas anderes im Spiel, was für uns zu hoch ist, wie die Sache mit dem dreifachen Hugh Williams. Etwas,
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