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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearson Mary E.
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die Hand weg. Nein. Lass die Hand, wo sie ist. Bitte, lass die Hand, wo sie ist.
    »Du atmest ja kaum«, stellt sie fest. »Hältst du die Luft an? Und du ballst die Fäuste – guck doch. Jetzt atme mal tief durch.«
    Ich senke den Blick. Stimmt, ich balle die Fäuste, dass meine Knöchel weiß werden. Ich reiße mich zusammen und öffne die Finger. Ich atme wie befohlen tief durch. Mein Zuhause. Ich bin zu Hause. Zum ersten Mal seit neun Jahren.

32
    Wir fahren weiter bis zum Haus. Vorbei an abgestellten Brunnen. Vorbei an Apfelbäumen. An verblühten Blumenbeeten. An Lauben, Gartenwegen und Pavillons, in denen ich früher gespielt habe. Der Wind peitscht mir ins Gesicht, klatscht mir den Rock gegen die Beine, fegt mir Staubkörnchen in die Augen, als wollte er mich verjagen.
    Mach die Augen zu.
    Schau nicht hin, Destiny.
    Schau nicht hin.
    Aber ich habe hingeschaut.
    Ich schaue hin.
    Ich reibe mir die tränenden Augen, will den Staub rauswischen. Aber ich mache die Augen nicht zu. Ich schaue hin. Ich habe nie die Augen zugemacht. Ich habe nach vorn geschaut. Habe zurückgeschaut. Habe gegrübelt, wie viele Schritte, Minuten, Tage, Atemzüge die richtige Zahl ergeben. Es muss doch möglich sein, alles wieder in Ordnung zu bringen. Es muss! Ich laufe nicht weg. Heute müssen sie mir zuhören, und ich werde alles sagen, was ich längst hätte sagen sollen.
    Seth hält vor dem Säulenvorbau und dem kunstvoll mit Ziegeln und Schiefer gepflasterten Vorplatz. »Bist du immer noch entschlossen?«
    Mira beugt sich vor. Sie macht eine Miene, als müsste sie mir eine schlechte Nachricht überbringen. »Des, Schatz, ich glaube, es ist keiner da. Das Haus sieht unbewohnt aus.«
    »Wir gehen rein.«
    Seth stellt den Motor aus. »Was machen wir mit Lucky?«
    Ich deute mit dem Kinn auf den Rasen. »Der kann ein bisschen grasen. Weglaufen kann er nicht, wegen der Hecke.«
    »Auf geht’s, Kleiner.« Seth nimmt Lucky auf den Arm und trägt ihn auf den Rasen, wo gerade genug Unkraut wächst, dass es einem kleinen Schaf wie das Paradies vorkommen muss.
    Aidan schlägt die Wagentür zu. Der Knall hallt über das verlassene Grundstück.
    »Still hier, was?« Mira scheint das alles unheimlich zu sein.
    Wir gehen die restlichen paar Schritte zu Fuß und dann die drei halbrunden Stufen hoch. Ich betätige den Türknauf. Es ist nicht abgeschlossen. Ich stoße die Tür auf.
    Seth holt uns ein, und wir spähen alle vier nach drinnen. Für ein, zwei Sekunden hängt die Zeit in der Schwebe, als hätte sie hinter der wuchtigen Tür stillgestanden. Ich kann das Herz des Hauses klopfen hören.
Klopf, klopf, klopf.
Es klopft in meiner Brust.
    »Wow!«, bricht Mira den Zauber.
    »Wollen wir nicht lieber klingeln?«, fragt Aidan.
    »Ich bin hier zu Hause!«, erwidere ich scharf.
    Ich trete ein, die anderen kommen nach. Ich lasse den Blick über die Decke wandern, über die elegante doppelläufige Treppe, die Vase mit weißen Gladiolen auf der halbhohen Marmorsäule. Unwillkürlich muss ich lächeln. Die Blumen hat bestimmt der Makler hingestellt – damit das unbewohnte Haus nicht so abweisend wirkt. Oder sind die Blumen Mamas Idee? Weil ich heute Geburtstag habe? Kann das sein?
Vielleicht wird heute alles anders. Vielleicht kommt heute alles in Ordnung.
Ich breche eine Blüte ab und klemme sie mir hinters Ohr.
    Das Wohnzimmer sieht aus wie immer, abgesehen davon, dass der weiße Flügel samt der Klavierbank verschwunden ist. Mr Anwalter bewahrt ihn für mich auf.
    »Ist jemand zu Hause?«, ruft Mira ängstlich. »Mrs Faraday?«
    »Pst!«, mache ich. »Kommt, wir gehen nach oben. Ich zeige euch mein Zimmer.«
    Wir gehen zur Treppe. Miras Plateausohlen klackern über die Marmorfliesen.
    »Tag, Destiny. Komisch, aber ich bin nicht überrascht, dich heute hier anzutreffen. Wie kommt das wohl?«
    Mira fährt zusammen. Ich drehe mich um.
    Ich habe ihn schon an der Stimme erkannt. »Sie kennen mich eben zu gut, Mr Anwalter.«
    Er kommt näher. »Wir beide kennen uns ja auch schon lange genug. Wie ich sehe, hast du diesmal ein paar Komplizen mitgebracht.« Er seufzt theatralisch. »Was wird mich das hier wieder kosten?«
    »Sie meinen wohl, was
ich
Sie wieder kosten werde.«
    »Ja. Du.«
    »Einen ganzen Batzen. Sind meine Eltern da?«
    »Destiny … bitte! Es hat doch keinen Zweck …«
    »Auch egal. War ja klar, dass sie nicht da sind. Ich hab ja bloß Geburtstag. Typisch.«
    Seth stellt sich neben mich. »Bitte entschuldigen Sie, dass wir einfach so

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