Ein Tag wie ein Leben
Auffrischung unserer Beziehung bemühte.
Schließlich konnte Noah nach Creekside zurückkehren und auch
schon bald wieder den Schwan füttern, aber uns allen war schmerzlich bewusst geworden, dass er voraussichtlich nicht mehr lange bei
uns sein würde. Ich verbrachte viele Stunden damit, Jane zu trösten
und ihre Tränen zu trocknen.
Von all den Dingen, die ich in diesem Jahr für sie tat, war es wohl
am wichtigsten, dass ich ihr in dieser schweren Zeit beigestanden
habe und für sie der Fels in der Brandung war. Aber möglicherweise
hatte sich auch sonst schon etwas verändert. Jedenfalls spürte ich
seither von ihrer Seite gelegentlich eine gewisse Wärme mir gegenüber. Nicht sehr oft, aber ich genoss diese seltenen Augenblicke, weil
sie mir Mut machten. Vielleicht würde unsere Beziehung ja doch
wieder ins Lot kommen.
Zum Glück verbesserte sich Noahs Zustand von Tag zu Tag ein
wenig. Inzwischen war es schon Anfang August und seit dem vergessenen Hochzeitstag fast ein ganzes Jahr vergangen. Durch mein
morgendliches Joggen hatte ich knapp zwanzig Pfund abgenommen.
Ich hatte es mir außerdem zur Gewohnheit gemacht, jeden Tag im
Postamt vorbeizuschauen, um die Sachen abzuholen, die ich bei verschiedenen Leuten bestellt hatte - an meinem Spezialprojekt arbeitete
ich nur in der Kanzlei, denn ich wollte unbedingt verhindern, dass
Jane vorzeitig Verdacht schöpfte. Um unseren dreißigsten Hochzeitstag herum wollte ich auf alle Fälle zwei Wochen freinehmen.
Seit ich berufstätig war, hatte ich noch kein einziges Mal so lange an
einem Stück Urlaub gemacht! Diese Wochen würde ich ausschließlich Jane widmen, denn es war mir wichtig, dass dieser Hochzeitstag
ein unvergessliches Ereignis wurde, damit ich wieder gutmachen
konnte, was ich im vergangenen Jahr vermasselt hatte.
Doch dann kam der 15. August, und an jenem Abend ereignete sich
etwas, was weder Jane noch ich je vergessen werden. Es war mein
erster Urlaubstag und genau acht Tage vor unserem Hochzeitstag.
Wir waren beide im Wohnzimmer. Ich hatte es mir in meinem
Lieblingssessel bequem gemacht und las eine Biographie von Theodore Roosevelt, während meine Frau auf dem Sofa saß und in einem
Katalog blätterte. Plötzlich kam Anna hereingestürzt. Sie wohnte
damals noch in New Bern, hatte aber vor kurzem eine Anzahlung für
eine Wohnung in Raleigh gemacht und wollte in zwei Wochen umziehen, weil Keith demnächst am Universitätskrankenhaus der Duke
Medical School als Assistenzarzt zu arbeiten anfangen sollte.
Trotz der Hitze trug sie Schwarz. In jedes Ohr hatte sie sich zwei
Löcher stechen lassen, und ihr Lippenstift war für meinen Geschmack viel zu dunkel, aber ich hatte mich an ihren etwas morbiden
Stil gewöhnt. Als sie sich zu uns setzte, fiel mir wieder einmal auf,
wie stark sie im Grunde ihrer Mutter ähnelte. Jetzt waren ihre Wangen gerötet, und sie presste die Handflächen aneinander, als hätte sie
Mühe, sich zu konzentrieren.
»Mom und Dad - ich muss euch etwas sagen«, begann sie.
Jane setzte sich kerzengerade hin und legte sofort ihren Katalog
beiseite. Genau wie ich hatte sie an Annas Tonfall gemerkt, dass es
um etwas Wichtiges ging. Das letzte Mal hatte Anna diesen Ton angeschlagen, als sie uns eröffnete, dass sie mit Keith zusammenziehen
wolle.
Ich weiß, ich weiß, sie ist erwachsen - aber was soll ich tun?
»Was ist, Schätzchen?«, fragte Jane.
Anna schaute von ihrer Mutter zu mir, dann wanderte ihr Blick
wieder zurück zu Jane. Schließlich schloss sie die Augen, atmete tief
durch und sagte:
»Ich werde heiraten.«
Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Kinder ihr Tun und Lassen vor allem darauf ausrichten, ihre Eltern zu überraschen. Wie man
sich unschwer vorstellen kann, bildete Annas Ankündigung da keine
Ausnahme.
Ich würde sogar behaupten, dass alles, was mit Kindern zu tun hat,
eine Überraschung ist. Oft heißt es ja, das erste Ehejahr sei das
schwierigste. Auf Jane und mich trifft diese These nicht zu. Auch das
siebte Ehejahr, in dem es angeblich unvermeidlich kriselt, bildete für
uns keine Hürde.
Nein, für uns war immer das erste Jahr nach der Geburt eines Kindes sehr, sehr hart. Ich glaube, vor allem bei Paaren, die selbst keine
Kinder haben, herrscht die irrige Ansicht vor, das erste Lebensjahr
eines Kindes sei ein Paradies, nichts als Friede, Freude, Eierkuchen:
Die Babys lächeln pausenlos - und die Eltern natürlich auch.
Aber meine Frau bezeichnet diese Zeit immer noch
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