Ein Tag wie ein Leben
Service zu finden. Dabei war ich vor lauter Vorfreude die ganze letzte
Stunde aufgeregt im Wohnzimmer hin- und hergerannt, weil ich es
gar nicht erwarten konnte, dass sie endlich nach Hause kam und ich
ihr von meinem Erfolg berichten durfte.
»Wen hast du bekommen?«
»Das Chelsea.« Das Restaurant lag im Zentrum von New Bern, gegenüber von meinem Büro. Früher hatte das Gebäude Caleb Bradham gehört, der die Formel für ein Getränk erfand, das später unter
dem Namen Pepsi-Cola weltberühmt werden sollte. Vor zehn Jahren
war das Chelsea in ein Restaurant umfunktioniert worden und gehörte inzwischen zu den Lokalitäten, in denen Jane am liebsten aß. Die
Speisekarte war sehr umfangreich, und der Koch hatte sich auf hausgemachte exotische Saucen und Marinaden spezialisiert, als Ergänzung zu seiner edlen Südstaatenküche. Freitags und samstags bekam
man abends ohne Reservierung keinen Tisch, und die Gäste machten
sich einen Spaß daraus, die Zutaten zu erraten, mit denen die einzigartigen Geschmacksvariationen erzielt wurden.
Das Chelsea war zudem für sein Unterhaltungsprogramm berühmt.
In der Ecke des Speisesaals stand ein Flügel, und John Peterson - bei
dem Anna jahrelang Klavierunterricht gehabt hatte - spielte und sang
gelegentlich für die Gäste. Er hatte ein gutes Ohr für populäre zeitgenössische Musik, seine Stimme erinnerte an Nat King Cole, und er
konnte jedes gewünschte Lied spielen. Wir wussten, dass er auch in
weit entfernten Restaurants auftrat - in Atlanta, Charlotte oder Washington, D.C. Jane sagte oft, sie könne ihm stundenlang zuhören,
und Peterson war durch ihren fast mütterlichen Stolz auf ihn gerührt.
Schließlich war Jane als Erste das Risiko eingegangen, ihn als Klavierlehrer zu engagieren.
Als sie den Namen »Chelsea« hörte, war sie schlicht und ergreifend
sprachlos. Man konnte die Wanduhr ticken hören, während sie offenbar überlegte, ob sie mich richtig verstanden hatte. Sie blinzelte.
»Aber - wie?«
»Ich habe mit Henry gesprochen und ihm die Situation geschildert.
Und er hat versprochen, sich darum zu kümmern.«
»Das begreife ich nicht. Wie kann Henry solch einen Auftrag in
letzter Minute annehmen? Ist er nicht seit Monaten ausgebucht?«
»Keine Ahnung.«
»Du hast ihn einfach angerufen, ihm unsere Wünsche dargelegt,
und schon hat er zugesagt?«
»Na ja, ganz so leicht war es nicht, aber ich habe erreicht, was ich
wollte.«
»Und was ist mit dem Menü? Muss er nicht wissen, wie viele Personen kommen?«
»Ich habe gesagt, wir rechnen mit insgesamt hundert Gästen. Die
Zahl erschien mir in etwa richtig, meinst du nicht auch? Und was die
Speisen betrifft - darüber haben wir natürlich auch gesprochen, und
er hat gesagt, er lässt sich etwas Besonderes einfallen. Aber ich kann
ihn gern noch mal anrufen und eine genaue Bestellung aufgeben.«
»Nein, nein, so ist es wunderbar!«, rief Jane schnell. Sie hatte sich
wieder gefangen. »Du weißt doch, ich mag alles, was es dort gibt.
Ich kann es nur einfach nicht fassen! Du hast es tatsächlich geschafft!«
»Stimmt.«
Sie strahlte über das ganze Gesicht. Plötzlich fiel ihr Blick aufs Telefon. »Ich muss unbedingt Anna anrufen!«, rief sie. »Sie wird es
nicht glauben.«
Henry MacDonald, der Besitzer des Restaurants, ist ein alter
Freund von mir. New Bern ist zwar eine Stadt, in der es fast unmöglich ist, seine Privatsphäre zu wahren, aber das hat auch seine Vorteile. Man begegnet immer wieder denselben Leuten - beim Einkaufen,
auf der Straße, in der Kirche, bei Dinnerpartys. Deshalb herrscht hier
eine Art Grundhöflichkeit, und oft bringt man Dinge zustande, die
anderswo unmöglich erscheinen. Die Leute sind bereit, ihren Mitmenschen einen Gefallen zu tun, weil sie wissen, sie brauchen vielleicht selbst einmal Hilfe. In dieser Hinsicht unterscheidet sich New
Bern ganz grundsätzlich von anderen Städten.
Das soll nicht heißen, dass ich nicht mit mir zufrieden war. Als ich
in die Küche ging, hörte ich, wie Jane am Telefon sagte: »Dein Dad
hat es geschafft! Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie er’s gemacht hat, aber er hat es tatsächlich geschafft!« Sie klang so stolz,
dass mein Herz vor Freude einen kleinen Sprung machte.
Ich setzte mich an den Küchentisch, um die Post zu sortieren, die
ich zuvor dort abgelegt hatte. Rechnungen, Werbung, das Time Magazine. Weil Jane immer noch mit Anna sprach, begann ich die Zeitschrift durchzublättern - bestimmt würde ich noch eine
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