Ein Tag wie ein Leben
jeden Abend kochst! Obwohl ich
zugeben muss, dass ich es sehr genossen habe.« Sie lächelte. »Ja, ich
würde gern etwas essen gehen. Wenn du dich noch einen Augenblick
gedulden könntest - ich muss mich nur ein bisschen zurecht machen.«
»Du siehst wunderbar aus, so wie du bist.«
»Zwei Minuten!«, rief sie, während sie bereits die Stufen hinaufeilte.
Ich wusste, dass es mehr als zwei Minuten dauern würde. Ich hatte
mir angewöhnt, die Wartezeit sinnvoll zu überbrücken, sie mit Dingen zu füllen, die ich gern machte, auf die ich mich aber nicht besonders konzentrieren musste. Ich konnte zum Beispiel in mein Arbeitszimmer gehen und schnell meinen Schreibtisch aufräumen. Oder die
Lautsprecher der Stereoanlage zurechtrücken, nachdem die Kinder
sie umgestellt hatten. Zu tun gab es immer etwas.
Diese harmlosen Aktivitäten sorgten dafür, dass die Zeit verging,
ohne dass ich es registrierte. Es konnte vorkommen, dass ich gerade
mit meinen kleinen Beschäftigungen fertig war - nur um festzustellen, dass meine Frau bereits hinter mir stand, die Hände in die Hüften
gestützt. Dann spielte sich stets folgender Dialog ab:
»Bist du fertig?«, fragte ich.
»Seit einer halben Ewigkeit!«, rief sie empört. »Ich warte schon
mindestens zehn Minuten darauf, dass du endlich fertig wirst!«
»Ach, entschuldige bitte«, sagte ich. »Wir können gleich los. Habe
ich die Schlüssel schon eingesteckt?«
»Sag nur nicht, du hast sie verlegt!«
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete ich und klopfte auf meine Taschen. »Sie müssen irgendwo liegen. Vor einer Minute hatte ich sie
noch.«
Woraufhin meine Frau die Augen verdrehte.
An jenem Abend nun nahm ich mir mein Time Magazine und setzte
mich auf die Couch. Ich hatte schon ein paar Artikel gelesen, als ich
Janes Schritte über mir hörte. Schnell legte ich die Zeitschrift weg.
Welches Restaurant sollte ich vorschlagen? Worauf hatte sie wohl
Lust? In dem Moment klingelte das Telefon.
Während ich der bebenden Stimme am anderen Ende der Leitung
lauschte, verflog meine Vorfreude.
Stattdessen erfüllten mich furchtbare Vorahnungen. Als ich auflegte, kam Jane gerade die Treppe herunter.
»Wer war das? Was ist los?«, fragte sie beunruhigt.
»Es war Kate«, antwortete ich beklommen. »Sie fährt gleich ins
Krankenhaus.«
Jane schlug erschrocken die Hand vor den Mund.
»Es ist wegen Noah«, sagte ich.
K
APITEL 9
Auf der Fahrt zum Krankenhaus kämpfte Jane die ganze Zeit mit
den Tränen. Ich bin normalerweise ein defensiver Autofahrer, aber
jetzt wechselte ich dauernd die Spur und trat aufs Gaspedal, auch
wenn die Ampel schon auf Gelb geschaltet hatte. Die Minuten schienen sich endlos zu dehnen.
Als wir die Notaufnahme betraten, kam ich mir vor wie nach Noahs
Schlaganfall im Frühjahr. Es war ein Gefühl, als hätte es die vergangenen vier Monate gar nicht gegeben. Der Geruch von Desinfektionsmitteln drang mir in die Nase. Trostloses Neonlicht erhellte den
überfüllten Warteraum.
Metallstühle mit Plastiksitzen standen an den Wänden entlang und
in Reihen mitten im Raum. Die meisten waren besetzt, oft durch
Gruppen von zwei oder drei Leuten, die sich gedämpft unterhielten.
An der Anmeldung hatte sich eine endlos lange Schlange gebildet,
weil viele Besucher erst noch irgendwelche Formulare ausfüllen
mussten.
Janes Familie hatte sich neben der Tür versammelt. Kate, blass und
nervös, stand neben Grayson, ihrem Ehemann, der in seinem Overall
und den staubigen Stiefeln aussah wie ein Baumwollpflanzer aus
dem Bilderbuch. Sein kantiges Gesicht war von tiefen Furchen
durchzogen. Der Nächste war David, Janes jüngster Bruder, mit seiner Frau Lynn, der er schützend den Arm um die Schulter gelegt hatte.
Kate kam sofort auf uns zugelaufen und fiel Jane schluchzend um
den Hals.
»Was ist passiert?«, rief Jane in heller Aufregung. »Wie geht es
ihm? Wo ist er jetzt?«
Kates Stimme überschlug sich. »Er ist gestürzt. Ganz in der Nähe
des Teichs. Kein Mensch hat gesehen, wie es genau passiert ist, aber
als die Krankenschwester ihn fand, war er bewusstlos. Sie glaubt, er
ist mit dem Kopf aufgeschlagen. Der Krankenwagen hat ihn vor gut
zwanzig Minuten hierher gebracht, und jetzt ist er gerade im Behandlungszimmer bei Dr. Barnwell«, sprudelte es aus Kate heraus. »Mehr
wissen wir nicht.«
Hätten sich die Schwestern nicht gegenseitig festgehalten, wäre Jane sicher zusammengesackt. David und Grayson konnten gar nicht
hinschauen, mit verkniffenen Mienen
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