Ein Tag wie ein Leben
ohne allzu große Begeisterung.
Was tun? Schließlich war doch der Witz der Sache, dass Jane die
Muschel aufhob! Aber inzwischen waren die Wellen bedrohlich nahe.
»Ich glaube, das ist ein ziemlich seltenes Exemplar«, sagte ich.
»Holst du sie?«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Ich finde, du solltest sie holen.«
»Ich?« Sie schaute mich erstaunt an.
»Natürlich nur, wenn du Lust hast.«
Jane überlegte, dann schüttelte sie den Kopf. »Ach, wir haben doch
schon genug Muscheln zu Hause. Lass sie ruhig liegen.«
Das lief nicht gut. Während ich noch überlegte, wie ich vorgehen
könnte, merkte ich plötzlich, dass eine große Welle angeschwappt
kam. In Panik - und ohne etwas zu Jane zu sagen - stürzte ich los, um
die Muschel zu retten.
Ich war noch nie für meine Schnelligkeit bekannt, doch an jenem
Tag legte ich ungeahnte sportliche Fähigkeiten an den Tag. Ich sprintete los, warf mich auf die Muschel wie ein Baseballspieler, der sich
auf den Ball stürzt - gerade noch rechtzeitig, ehe die Welle über die
Muschel hinwegspülte. Mit einem dumpfen Umpfff entwich die Luft
aus meinen Lungen. Mühsam rappelte ich mich wieder hoch und tat
mein Bestes, um einigermaßen würdevoll auszusehen, während ich
den Sand aus meinen durchnässten Kleidern schüttelte. Jane verfolgte den ganzen Vorgang mit staunenden Augen.
»Hier«, sagte ich außer Atem und hielt ihr die Muschel hin.
Sie musterte mich etwas irritiert. »Vielen Dank«, murmelte sie.
Ich hatte mir ausgemalt, sie würde die Muschel hin- und herdrehen,
sodass man den Ring im Innern klappern hörte, aber auf den Gedanken kam sie gar nicht. Stattdessen starrten wir uns nur an.
»Du wolltest diese Muschel unbedingt haben, stimmt’s?«, fragte sie
schließlich.
»Ja.«
»Sie ist hübsch.«
»Ja.«
»Noch mal vielen Dank.«
»Bitte, gern geschehen.«
Jane stand weiterhin wie angewurzelt da. Ich wurde immer nervöser. »Schüttel sie doch mal!«, schlug ich vor.
Jetzt verstand sie gar nichts mehr.
»Ich soll sie schütteln?«, wiederholte sie.
»Ja.«
»Stimmt irgendwas nicht, Wilson?«
»Nein, nein, alles in Ordnung.« Mit einer Kopfbewegung deutete
ich auf die Muschel. »Schüttel sie mal.«
»Okay.«
Als sie die Muschel schüttelte, plumpste der Ring in den Sand. Ich
fiel hektisch auf die Knie, um ihn aufzuheben. Alle meine großartigen Pläne waren wie weggepustet, und ich steuerte ungebremst auf
mein eigentliches Ziel zu, besaß dabei aber nicht einmal die Geistesgegenwart, Jane in die Augen zu sehen. »Willst du mich heiraten?«
Nachdem wir in der Küche Ordnung gemacht hatten, trat Jane hinaus auf das Deck. Sie ließ die Tür einen Spaltbreit offen, woraus ich
schloss, dass sie mich bei sich haben wollte. Wieder stand sie über
das Geländer gebeugt, genau wie an dem Abend, als Anna uns ihre
Hochzeitspläne eröffnet hatte.
Die Sonne war schon untergegangen. Ein orangegelber Mond stieg
über den Bäumen auf - er sah aus wie eine riesige Papierlaterne. Die
Hitze war verflogen, und es wehte eine frische Brise.
»Glaubst du wirklich, du findest so kurzfristig einen Catering Service?«, fragte sie.
Ich trat neben sie. »Ich werde mein Bestes tun.«
»Ach, dabei fällt mir ein - erinnere mich bitte daran, dass ich morgen die Flugreservierungen für Joseph erledigen muss. Bis Raleigh
bekommt er garantiert eine Maschine, aber vielleicht gibt es sogar
eine direkte Verbindung nach New Bern.«
»Ich kann das übernehmen«, bot ich an. »Schließlich muss ich sowieso noch verschiedene Anrufe tätigen.«
»Meinst du das ernst?«
»Na klar«, sagte ich. Auf dem Fluss fuhr ein Boot vorbei, ein dunkler Schatten mit einem hellen Licht am Bug.
»Was müsst ihr denn noch erledigen, du und Anna?«, erkundigte
ich mich.
»Mehr, als du dir vorstellen kannst.«
»Immer noch?«
»Na ja, ein zentraler Punkt ist das Kleid. Leslie möchte auch mitkommen. Wir brauchen bestimmt zwei Tage.«
»Zwei Tage? Für ein Kleid?«
»Sie will natürlich genau das richtige finden, und dann müssen wir
es sicher ändern lassen, weil Anna so schmal ist. Heute Morgen haben wir mit einer Schneiderin gesprochen, und sie sagt, sie könnte
den Auftrag dazwischenschieben, wenn wir das Kleid bis spätestens
Donnerstag vorbeibringen. Und dann ist da natürlich noch der Empfang. Falls wir überhaupt einen Empfang geben, heißt das. Ein Caterer ist eine Sache, aber selbst wenn du das hinkriegst, brauchen wir
noch Musik. Und wir müssen die Räume ausstatten, das heißt, du
müsstest auch
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