Ein Tag wie ein Leben
Selbst wenn es keine glühende Leidenschaft gewesen sein mochte, so war uns doch immerhin ein Waffenstillstand gelungen - und das Versprechen, die Probleme gemeinsam
zu lösen.
Ich glaube, dieses Versprechen und überhaupt unsere wechselseitige Loyalität sind der Grund, weshalb unsere Ehe schon so lange hält.
Und genau um dieses Element in unserer Beziehung habe ich mir im
vergangenen Jahr immer wieder solche Sorgen gemacht. Ich habe
mich nicht nur gefragt, ob Jane mich noch liebt, sondern auch, ob sie
mich überhaupt noch lieben will.
Bestimmt hat es für sie unzählige Enttäuschungen gegeben - all die
Jahre, in denen ich von der Arbeit nach Hause kam und die Kinder
schon im Bett lagen. Die Abende, an denen ich über nichts anderes
sprechen konnte als über die Arbeit. Die Sportwettkämpfe, die Geburtstagspartys und Familienurlaube, die ich verpasst habe. Die Wochenenden, die ich mit Kollegen und Klienten auf dem Golfplatz
verbrachte. Wenn ich es mir richtig überlege, komme ich zu dem
Schluss, dass ich oft ein abwesender Ehemann war, nur ein Schatten
des eifrigen jungen Mannes, den Jane geheiratet hatte. Und doch
schien dieser Kuss zu sagen: Ich bin willens, es noch einmal zu versuchen, wenn du es auch möchtest.
»Wilson? Ist irgendetwas?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Nein, nein, alles bestens.« Ich
atmete tief durch. Ein Themawechsel war das, was ich jetzt dringend
brauchte. »Wie ist es denn heute bei euren Unternehmungen gelaufen? Habt ihr ein Kleid für Anna gefunden?«
»Leider nicht. Wir waren in verschiedenen Geschäften, aber in ihrer
Größe hat Anna nichts gefunden, was ihr gefiel. Ich hatte ja schon
befürchtet, dass es lange dauern würde - ich meine, Anna ist so
schmal, dass alles gesteckt werden muss, damit man überhaupt sehen
kann, wie das Kleid ihr stehen würde. Wir wollen morgen noch einige Läden abklappern, dann wissen wir mehr. Es gibt aber auch eine
gute Nachricht - Keith hat die gesamte Organisation auf der Seite
seiner Familie übernommen, damit wir uns da um nichts kümmern
müssen. Dabei fällt mir ein - hast du daran gedacht, einen Flug für
Joseph zu buchen?«
»Ja. Er kommt am Freitagabend.«
»Nach New Bern oder nach Raleigh?«
»Nach New Bern. Wenn alles plangemäß läuft, kommt er um halb
neun an. Hat Leslie euch eigentlich begleitet?«
»Nein, sie konnte leider nicht. Sie rief an, als wir schon unterwegs
waren. Sie musste für ihr Labor-Projekt noch zusätzliche Recherchen
erledigen, aber morgen hat sie Zeit. Und sie hat auch gleich einen
guten Vorschlag gemacht - in Greensboro gibt es auch einige erstklassige Boutiquen, die wir zur Not noch aufs Programm setzen
könnten.«
»Habt ihr das vor?«
Jane ächzte leise. »Ach, du weißt doch - das sind dreieinhalb Stunden mit dem Auto! Wir wären insgesamt sieben Stunden unterwegs,
reine Fahrzeit.«
»Ihr könntet dort übernachten«, schlug ich vor. »Dann müsst ihr
nicht abends zurückfahren.«
Wieder seufzte sie. »Das hat Anna auch gesagt. Wir könnten erst
die restlichen Geschäfte in Raleigh ins Visier nehmen und dann am
Mittwoch die in Greensboro. Aber ich will dich nicht allein lassen.
Hier gibt es doch auch noch so viel zu tun.«
»Keine Bange«, beruhigte ich sie. »Wir haben ja jetzt einen Caterer, dadurch hat sich vieles erledigt. Den Rest schaffe ich schon.
Schließlich können wir nicht Hochzeit feiern, wenn Anna kein Kleid
hat.«
Jane musterte mich skeptisch. »Meinst du das wirklich ernst?«
»Natürlich. Ich ziehe sogar in Erwägung, noch ein paar Runden
Golf zu spielen.«
»Na, das klappt doch nie!«
»Aber wenn ich es nicht tue, was soll dann aus meinem Handicap
werden?«, protestierte ich lachend.
»Ich würde sagen, wenn es sich in dreißig Jahren noch nicht entscheidend verbessert hat, wird wahrscheinlich nicht mehr viel daraus.«
»Soll das eine Beleidigung sein?«
»Aber nein. Nur eine nüchterne Feststellung. Ich habe dich ja schon
spielen sehen - hast du das vergessen?«
Ich nickte. Sie hatte selbstverständlich Recht. Obwohl ich schon
viele Jahre an meinem Schlag arbeite, bin ich immer noch ein sehr
mittelmäßiger Golfer. Ich schaute auf die Uhr.
»Hättest du Lust, eine Kleinigkeit essen zu gehen?«
»Wirklich?«, fragte sie schon wieder. »Wollen wir heute Abend
nichts kochen?«
»Nur, wenn du gern Reste essen möchtest. Ich hatte keine Zeit, einkaufen zu gehen.«
»Ich wollte dir keine Vorhaltungen machen. Schließlich kann ich
nicht von dir erwarten, dass du jetzt
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