Ein Tag wie ein Leben
ganze Weile
auf sie warten müssen. Doch zu meiner Verwunderung legte sie auf,
bevor ich angefangen hatte, den ersten Artikel zu lesen.
»Warte!«, rief sie. »Ehe du dich in deine Lektüre vertiefst, möchte
ich die Details erfahren. Also - habe ich dich richtig verstanden, dass
Henry persönlich anwesend sein wird und dass er das Essen für sämtliche Gänge bereitstellt? Und er bringt ein paar Leute mit, die ihm
assistieren, stimmt’s?«
»Ja, vermutlich schon - er kann ja nicht alles selbst servieren.«
»Wird es ein Büfett?«
»Ich dachte, das ist am praktischsten - wenn man bedenkt, wie groß
Noahs Küche ist.«
»Das denke ich auch. Und wie ist es mit Tischen? Mit Tischde
cken? Bringt er das alles mit?«
»Davon gehe ich aus. Ich habe ihn nicht extra danach gefragt, ehrlich gesagt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein großes
Problem wäre, selbst wenn er nichts mitbringt. Bestimmt können wir
notfalls alles, was wir brauchen, irgendwo ausleihen.«
Jane nickte. Garantiert überlegte sie schon, welche Punkte sie von
ihrer Liste streichen konnte. »Okay, wie…«, begann sie, aber ehe sie
weiterreden konnte, hob ich die Hände.
»Keine Sorge. Ich rufe ihn gleich morgen früh an, um mich zu versichern, dass alles genauso ist, wie es sein soll.« Ich zwinkerte ihr zu.
»Verlass dich auf mich.«
Sie merkte, dass ich mich selbst zitierte, denn ich hatte das Gleiche
schon gestern bei Noahs Haus gesagt. Mit einem fast schüchternen
Lächeln nickte sie. Ich erwartete, dass dieser Moment der Nähe
gleich wieder vorüber sein würde, aber dem war nicht so. Wir schauten uns in die Augen, bis sie sich, fast zögernd, zu mir beugte und
mich auf die Wange küsste.
»Danke, dass du dich so wunderbar um alles gekümmert hast«,
flüsterte sie.
Ich schluckte. »Gern geschehen.«
Vier Wochen nach dem Heiratsantrag heirateten wir, fünf Tage
nach der Hochzeit erwartete mich Jane im Wohnzimmer unserer
kleinen Mietwohnung, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Sie
deutete auf das Sofa und erklärte:
»Wir müssen reden.«
Ich stellte meine Aktentasche weg und setzte mich zu ihr. Sie nahm
meine Hand.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Ja, klar.«
»Sag schon - was ist los?«
»Liebst du mich?«
»Ja, selbstverständlich liebe ich dich.«
»Würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Wenn ich kann? Du weißt doch, ich würde alles für dich tun.«
»Selbst wenn es schwierig ist? Selbst wenn du es eigentlich nicht
möchtest?«
»Ja, selbstverständlich«, wiederholte ich. Aber nun wollte ich endlich Klarheit. »Heraus mit der Sprache, Jane - was ist los?«
Sie holte tief Luft und sagte: »Ich möchte, dass du am Sonntag mit
mir in die Kirche gehst.«
Auf diese Bitte war ich beim besten Willen nicht vorbereitet gewesen, aber bevor ich etwas entgegnen konnte, fuhr sie fort: »Ich weiß,
du hast gesagt, dass du keine Lust zu so etwas hast, weil du als Atheist aufgewachsen bist, aber ich möchte, dass du es mir zuliebe
versuchst. Es ist mir sehr, sehr wichtig. Auch wenn du das Gefühl
hast, du gehörst dort nicht hin.«
»Jane, ich…«
»Ich brauche dich.«
»Aber wir haben das doch schon alles besprochen! Ich…«, protestierte ich, aber wieder unterbrach mich Jane.
»Das weiß ich. Und ich verstehe auch, dass du anders erzogen wurdest. Aber es gibt nichts auf der Welt, was mir mehr am Herzen liegt,
als diese einfache Geste.«
»Obwohl ich nicht gläubig bin?«
»Obwohl du nicht gläubig bist.«
»Aber…«
»Da gibt es kein Aber«, sagte sie. »Nicht in dieser Angelegenheit.
Ich liebe dich, Wilson, und ich weiß, dass du mich liebst. Wenn wir
wollen, dass unsere Ehe funktioniert, müssen wir uns beide bewegen
und einen Schritt aufeinander zugehen. Ich bitte dich nicht, meinen
Glauben anzunehmen. Ich bitte dich nur, mit mir in die Kirche zu
gehen. Eine Ehe besteht aus Kompromissen - man muss etwas für
den anderen tun, auch wenn man es manchmal einfach nicht will. So
wie ich es bei unserer Hochzeit gemacht habe.«
Ich presste betroffen die Lippen aufeinander. Inzwischen wusste ich
längst, was es für sie bedeutete, dass wir nur standesamtlich geheiratet hatten.
»Gut, einverstanden. Ich komme mit.«
Da küsste sie mich, und dieser Kuss war so himmlisch wie das Paradies.
Als Jane mich jetzt in der Küche küsste, kamen die Erinnerungen
an den Kuss von damals zurück. Ich musste auch an die zärtlichen
Wiederannäherungsversuche denken, mit denen wir früher unsere
Differenzen beigelegt hatten.
Weitere Kostenlose Bücher