Ein Tag wie ein Leben
mehr richtig, wie sie aussah, als sie
krank wurde. Mom war immer so expressiv, so lebendig! Beim Reden hat sie mit den Händen gestikuliert, und wenn sie eine Geschichte erzählte, spiegelten sich in ihrem Gesicht alle Gefühle wider…
Aber durch die Krankheit hat sie sich völlig verändert.« Jane schaute
mich von der Seite an. »Nichts war mehr wie früher.«
»Das stimmt.«
»Manchmal habe ich Angst deswegen«, fügte sie mit fast unhörbarer Stimme hinzu. »Dass ich auch Alzheimer bekommen könnte,
meine ich.«
Der Gedanke war mir nicht fremd, dennoch schwieg ich.
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das innerlich anfühlt«,
fuhr Jane fort. »Stell dir das nur vor - ich würde Anna und Joseph
und Leslie nicht mehr erkennen! Ich müsste sie fragen, wie sie heißen, wenn sie mich besuchen. So wie Mom mich immer gefragt hat.
Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke.«
Im matten Licht der Straßenlaternen sah ihr Gesicht unendlich traurig aus.
»Meinst du, Mom hat geahnt, wie grauenvoll es werden würde?«,
fragte sie gedankenvoll. »Als es ihr noch besser ging, hat sie
manchmal gesagt, sie wüsste, was ihr bevorsteht - aber hat sie wirklich gespürt, tief in ihrem Inneren, dass sie ihre Kinder nicht mehr
erkennen wird? Und später nicht einmal Daddy.«
»Ich glaube, sie hat es gewusst«, sagte ich. »Deshalb sind deine Eltern nach Creekside gezogen.«
Jane schloss die Augen. Als sie weitersprach, klang sie richtig empört. »Ich finde es schrecklich, dass Daddy nach Moms Tod nicht zu
uns ziehen wollte. Wir haben doch so viel Platz!«
Ich sagte nichts. Natürlich, ich hätte Noahs Gründe für diese Entscheidung aufzählen können, aber ich wusste, dass Jane sie gar nicht
hören wollte. Sie kannte seine Überlegungen genauso gut wie ich,
war aber im Gegensatz zu mir nicht bereit, sie zu akzeptieren. Wenn
ich versucht hätte, Noah zu verteidigen, hätten wir nur angefangen,
uns zu steiten.
»Und außerdem kann ich diesen Schwan nicht ausstehen«, fügte sie
trotzig hinzu.
Mit dem Schwan verband sich eine Geschichte, zu der ich mich
auch nicht äußern wollte.
Wir wanderten weiter durch die nächtlichen Straßen. Manche unserer Nachbarn hatten die Lichter schon gelöscht, aber Jane und ich
drehten noch nicht um. Als wir schließlich doch wieder auf unser
Haus zusteuerten und sich unser Spaziergang dem Ende entgegen
neigte, blieb ich stehen und blickte hinauf zum Sternenhimmel.
»Was ist?«, fragte Jane und folgte meinem Blick.
Statt zu antworten, fragte ich sie: »Bist du glücklich?«
»Wieso stellst du mir diese Frage?«
»Ich möchte es nur wissen.«
Ahnte sie, was hinter meiner Frage steckte? Mich interessierte ja
eigentlich nicht ihr Allgemeinzustand, sondern ob sie mit mir glücklich war.
Sie studierte mein Gesicht, als versuche sie, meine Gedanken zu lesen.
»Na ja, da ist eine Sache…«
»Und die wäre?«
»Sie ist relativ wichtig.« Ich wartete. Jane holte tief Luft. »Es würde mich sehr glücklich machen, wenn du einen Catering Service finden könntest.« Ich war so verblüfft, dass ich lachen musste.
Ich bot mich an, eine Kanne koffeinfreien Kaffee zu kochen, aber
Jane schüttelte den Kopf. Sie hatte zwei anstrengende Tage hinter
sich, und nachdem sie das dritte Mal ausführlich gegähnt hatte, verkündete sie, sie werde ins Bett gehen.
Ich hätte mich ihr anschließen können, tat es aber nicht. Stattdessen
schaute ich ihr nach, als sie die Treppe hinaufstieg. Dann ging ich in
Gedanken den Verlauf unseres gemeinsamen Abends noch einmal
durch.
Als ich schließlich doch ins Bett schlüpfte, betrachtete ich meine
schlafende Ehefrau. Sie atmete tief und gleichmäßig, aber ich sah,
wie sich ihre Pupillen unter den Lidern bewegten - offensichtlich
träumte sie. Wovon? Ihr Gesicht wirkte sehr friedlich, wie bei einem
Kind. Am liebsten hätte ich sie geweckt, aber gleichzeitig wollte ich
sie auch schlafen lassen. In diesem Augenblick liebte ich sie mehr als
mein eigenes Leben. Vorsichtig strich ich ihr eine Locke aus der
Stirn. Wie zart ihre Haut war, weich wie Seide, zeitlos in ihrer
Schönheit. Ich war so ergriffen, dass mir Tränen in die Augen traten.
K
APITEL 8
Vor Staunen blieb Jane der Mund offen stehen. Sie war gerade nach
Hause gekommen, die Handtasche baumelte noch an ihrem Arm.
»Du hast es tatsächlich geschafft?«
»Sieht so aus«, sagte ich betont beiläufig. Ich wollte den Eindruck
erwecken, dass es ein Kinderspiel gewesen sei, einen Catering
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