Ein Tag wie ein Leben
mich nicht dagegen gewehrt habe. Wie viel habe
ich deswegen versäumt, als die Kinder noch zu Hause waren! Zum
Beispiel die Geburtstagspartys… Ich weiß gar nicht, wie viele mir
entgangen sind, nur weil ich noch irgendeine Sitzung hatte, die ich
unmöglich verschieben konnte. Und dann die Volleyballspiele, die
Leichtathletikwettbewerbe, die Klaviervorspiele, die Theaterstücke,
die in der Schule aufgeführt wurden… Es ist ein Wunder, dass die
Kinder mir verziehen haben und mich sogar ganz nett finden.«
Jane nickte stumm. Was hätte sie sagen wollen? Ich war außerdem
noch lange nicht fertig.
»Ich weiß, dass ich nicht immer der ideale Ehemann war«, sagte ich
leise. »Gelegentlich frage ich mich sogar, wie du es so lange mit mir
ausgehalten hast.«
Nun zog sie erstaunt die Augenbrauen hoch. Ich kannte dieses Mienenspiel, diese wortlose Frage, ließ mich aber nicht unterbrechen.
»Du hast viel zu viele Abende und Wochenenden allein verbringen
müssen. Und ich habe die gesamte Verantwortung für die Kindererziehung dir überlassen. Das war nicht fair. Und selbst als du sagtest,
du würdest gern öfter etwas mit mir unternehmen, habe ich dir nicht
richtig zugehört. Zum Beispiel an deinem dreißigsten Geburtstag.«
Ich machte eine kleine Pause, weil ich meine Worte auf sie wirken
lassen wollte. Ihren Augen konnte ich ansehen, dass sie genau wusste, worauf ich anspielte. Mein Verhalten an ihrem dreißigsten Geburtstag gehörte zu den zahlreichen Fehlern, die ich begangen hatte
und die ich am liebsten ungeschehen gemacht hätte.
Jane hatte damals eine schlichte Bitte geäußert: Ausgelaugt von den
Strapazen ihrer Mutterrolle, wollte sie sich gern einmal wieder ganz
als Frau fühlen - wenigstens ein paar Stunden lang. Sie hatte mehrfach Andeutungen gemacht, wie solch ein romantischer Abend aussehen könnte: ein Kleid, das auf dem Bett ausgebreitet auf sie wartete, Blumen, ein Taxi, das uns in ein stilles Restaurant brachte, ungestörte Gespräche, bei denen sie nicht dauernd im Hinterkopf haben
musste, dass sie eigentlich längst zu Hause erwartet wurde. Mir war
völlig klar gewesen, wie viel ihr das bedeutete, und ich hatte mir fest
vorgenommen, ihr diesen Wunsch zu erfüllen, Punkt für Punkt. Aber
kurz zuvor verwickelte ich mich auswegslos in eine chaotische Erbschaftsangelegenheit, bei der es um riesige Summen ging. Janes Geburtstag rückte immer näher, und ich hatte nichts, aber auch gar
nichts vorbereitet. In letzter Minute bat ich meine Sekretärin, ein
elegantes Armband, besetzt mit kleinen Juwelen, für sie auszusuchen, und auf dem Weg nach Hause versuchte ich mir einzureden,
dieses Geschenk sei ein vollwertiger Ersatz, da es immens teuer gewesen war. Bestimmt würde sich Jane genauso darüber freuen wie
über einen gemeinsamen Abend. Als sie den Schmuck auspackte,
versprach ich ihr, schon ganz bald einen romantischen Abend zu arrangieren, der all ihre Träume noch weit übertreffen würde. Aber es
kam, wie es kommen musste - ich löste dieses Versprechen nie ein,
genau wie viele, viele andere, weil immer etwas dazwischenkam.
Und Jane hatte das genauso wenig vergessen wie ich, davon bin ich
felsenfest überzeugt.
Der Gedanke an all die vergeudeten Möglichkeiten ließ mich verstummen. Ratlos rieb ich mir die Stirn und schob meinen Teller beiseite. Bedeutete für mich die Vergangenheit wirklich nichts anderes
als eine endlose Abfolge von Versäumnissen? So schien es mir jetzt,
während diese Erinnerungen an mir vorbeizogen. Da spürte ich Janes
Blick. Zu meinem Erstaunen nahm sie meine Hand.
»Wilson? Fehlt dir etwas?« Ihre Stimme klang besorgt, ja zärtlich -
ein Tonfall, den ich gar nicht mehr von ihr gewohnt war.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein.«
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Selbstverständlich.«
»Warum sprichst du heute Abend über all diese Dinge, die du bedauerst? Hat Daddy etwas zu dir gesagt?«
»Nein.«
»Warum dann?«
»Ich weiß es nicht - vielleicht liegt es an der Hochzeit.« Ich lächelte
verlegen. »Jedenfalls muss ich seit Tagen an diese Versäumnisse
denken.«
»Das ist doch sonst nicht deine Art.«
»Du hast Recht. Aber das ändert nichts daran, dass ich viele Fehler
gemacht habe.«
Jane legte den Kopf schief. »Na ja - ich bin auch nicht gerade perfekt.«
»Aber du bist wesentlich näher dran als ich.«
»Das stimmt.«
Wider Willen musste ich lachen, und die Atmosphäre entspannte
sich ein wenig.
»Und es stimmt auch, dass du wahnsinnig viel
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