Ein Tag wie ein Leben
gearbeitet hast«, fuhr
sie fort. »Vermutlich viel zu viel. Aber ich habe immer gewusst, du
tust es für deine Familie, du willst gut für uns sorgen. Das hat sehr
viele positive Seiten - zum Beispiel konnte ich zu Hause bleiben und
ganz für die Kinder da sein. Das war mir immer extrem wichtig.«
Ich lächelte. In ihren Worten schwang so viel Verständnis mit - ich
konnte mich wirklich glücklich schätzen. Lächelnd beugte ich mich
zu ihr.
»Weißt du, worüber ich außerdem nachgedacht habe?«
»Ich bin gespannt!«
»Ich habe mich gefragt, wieso du mich überhaupt geheiratet hast.«
Ihr Gesicht wurde weich, ihr Blick liebevoll.
»Sei nicht so streng mit dir. Ich hätte dich niemals geheiratet, wenn
ich dich nicht gewollt hätte.«
»Warum hast du mich geheiratet?«
»Aus Liebe.«
»Und worauf beruhte diese Liebe?«
»Ach, da könnte ich alles Mögliche nennen.«
»Zum Beispiel?«
»Soll ich ein paar Sachen aufzählen?«
»Ja, bitte, mach mir die Freude. Ich habe dir gerade all meine Geheimnisse anvertraut.«
Sie lächelte über meine Beharrlichkeit.
»Also, gut. Warum habe ich dich geheiratet? Du warst ehrlich, fleißig und hilfsbereit. Du warst höflich und geduldig und viel erwachsener als alle Männer, mit denen ich vor dir ausgegangen war. Und
wenn wir zusammen waren, hast du mir immer so aufmerksam zugehört, dass ich mir vorkam wie die interessanteste Frau auf der Welt.
Du hast mir das Gefühl gegeben, vollkommen zu sein, und es erschien mir einfach richtig, mit dir mein Leben zu teilen.«
Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Aber es ging nicht nur
um meine Gefühle. Je länger ich dich kannte, desto deutlicher sah
ich, dass du für deine Familie alles, aber auch wirklich alles tun würdest. Genau das habe ich gebraucht. Du weißt ja so gut wie ich, dass
es damals viele Leute gab, die die Welt verändern wollten. Das fand
ich zwar in vielen Punkten richtig, aber ich wollte trotzdem eine ganz
normale Familie haben, so wie meine Eltern. Ich wünschte mir Kinder - und ich habe jemanden gesucht, der diesen Wunsch respektieren und mich darin unterstützen würde.«
»Und? Bin ich deinen Ansprüchen gerecht geworden?«
»Größtenteils, ja.«
Ich lachte. »Aber du hast noch gar nicht erwähnt, dass ich fantastisch aussah und außerdem hinreißend charmant war.«
»Du wolltest doch die Wahrheit hören, oder?«, fragte sie schmunzelnd.
Wieder lachte ich, und sie drückte meine Hand.
»Aber jetzt mal Scherz beiseite - ich war damals immer begeistert
davon, wie du ausgesehen hast, wenn du morgens in deinem Anzug
zur Arbeit gingst. So groß, so schlank, ein ehrgeiziger junger Anwalt,
der seiner Familie ein schönes Leben schenken will. Ausgesprochen
attraktiv!«
Bei diesen Worten wurde mir warm ums Herz. Während der nächsten Stunde - wir gingen die Catering-Speisekarte durch, tranken dazu
noch einen Kaffee und lauschten der Musik, die dezent von unten zu
uns heraufdrang - spürte ich, dass Jane mich immer wieder musterte.
Ich glaubte sogar, ein gewisses Interesse ihrerseits zu spüren. Auch
das war ich nicht mehr gewohnt, und die Wirkung war Schwindel
erregend. Dachte sie noch immer darüber nach, weshalb sie mich
geheiratet hatte? Bedauerte sie ihre Entscheidung - oder war sie etwa
doch froh darüber?
K
APITEL 10
Als ich am Dienstagmorgen aufwachte, war es draußen noch dunkel. Weil ich Jane nicht wecken wollte, stand ich ganz leise auf, und
nachdem ich mich angekleidet hatte, schlich ich die Treppe hinunter
und verließ das Haus. Über mir wölbte sich der pechschwarze
Nachthimmel. Selbst die Vögel schlummerten noch, aber wir hatten
schon sehr milde Temperaturen, und der Asphalt war feucht, weil es
in der Nacht geregnet hatte. Man spürte bereits die ersten Anzeichen
dafür, dass es ein schwüler Tag werden würde. Nur gut, dass ich
mich schon so früh auf den Weg gemacht hatte!
Ich begann zu laufen, zuerst langsam, doch sobald meine Muskeln
sich aufgewärmt hatten, beschleunigte ich den Rhythmus. Im vergangenen Jahr hatte ich mich so an die Joggerei gewöhnt, dass sie
mir inzwischen mehr Spaß machte, als ich je zu hoffen gewagt hätte.
Ursprünglich hatte ich geplant, sie zu reduzieren, sobald ich genug
abgenommen hatte. Aber stattdessen verlängerte ich die Strecke und
notierte mir immer, wie lange ich brauchte.
Außerdem sehnte ich mich immer richtig nach der morgendlichen
Stille. Um diese Zeit war kaum ein Auto unterwegs, und meine Sinne
schienen erheblich
Weitere Kostenlose Bücher