Ein Tag wie ein Leben
Grunde hat er nichts anderes gesagt
als nachher.«
Sie runzelte die Stirn. »Was heißt ›im Grunde‹?«
»Willst du es wirklich wissen?«
Sie legte das Besteck weg. »Er hat dich wieder gebeten, den
Schwan zu füttern, stimmt’s?«
»Ja, das stimmt.«
»Und? Wirst du es tun?«
»Selbstverständlich«, antwortete ich, aber als ich ihren gequälten
Gesichtsausdruck sah, fügte ich noch schnell hinzu: »Bevor du dich
aufregst, Jane - ich mache es nicht, weil ich denke, es ist Allie. Ich
tue es, weil Noah mich darum gebeten hat und weil ich nicht möchte,
dass der Schwan verhungert. Er hat wahrscheinlich längst verlernt,
für sich selbst Futter zu suchen.«
Sie betrachtete mich skeptisch.
»Mom konnte Wonderbread nicht ausstehen. Diese laschen Toastscheiben hätte sie nie gegessen, sie hat ihr Brot immer selbst gebacken.«
Zum Glück rettete mich der Kellner vor einer längeren Debatte über
dieses Thema. Der junge Mann erkundigte sich, ob wir mit der Vorspeise zufrieden seien. Ganz unvermittelt fragte ihn Jane, ob diese
auch auf der Catering-Speisekarten stehe.
Der Kellner wusste gleich Bescheid. »Sind Sie das Paar, das am
Wochenende die große Hochzeit feiert? In der alten Villa Calhoun?«
»Ja, genau!« Jane strahlte.
»Hab ich mir’s doch gedacht. Ich glaube, die Hälfte unseres Personals wird vor Ort sein!« Er grinste. »Ich freue mich, Sie kennen zu
lernen. Darf ich Ihnen nachgießen? Und die Catering-Karte bringe
ich Ihnen natürlich gern.«
Kaum war er verschwunden, da beugte sich Jane zu mir.
»Ich glaube, damit sind all meine Fragen in puncto Service beantwortet.«
»Ich hab dir doch gesagt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Sie leerte ihr Glas. »Meinst du, sie stellen ein Zelt auf? Wir essen
doch im Freien, oder?«
»Warum nicht im Haus?«, fragte ich. »Ich bin sowieso dort, wenn
die Gärtner kommen, also kann ich doch versuchen, auch eine Reinigungsfirma zu bestellen, die alles auf Vordermann bringt, meinst du
nicht? Wir haben ja noch ein paar Tage - da finde ich bestimmt jemanden.«
»Versuchen können wir es ja«, sagte Jane bedächtig. Ich wusste,
dass sie an das letzte Mal dachte, als sie in Noahs Haus gewesen war.
»Du weißt ja, dass alles völlig verstaubt ist.«
»Ja, klar, aber es muss doch nur alles gründlich geputzt werden. Ich
werde ein paar Unternehmen anrufen. Mal sehen, was sich machen
lässt.«
»Das sagst du die ganze Zeit.«
»Ich muss ja auch dauernd etwas tun!«, entgegnete ich, und sie
lachte freundlich. Durch das Fenster konnte ich auf die Kanzlei blicken. In Saxons Raum brannte noch Licht. Bestimmt hatte er etwas
zu erledigen, was sich absolut nicht aufschieben ließ, denn Saxon
machte sonst nur selten Überstunden. Jane bemerkte meinen Blick.
»Na, fehlt dir die Arbeit?«
»Nein, im Gegenteil - es ist schön, mal für eine Weile nicht ins Büro zu müssen.«
»Ehrlich?«
»Ja.« Ich zupfte an meinem Polohemd. »Schon deswegen, weil ich
nicht die ganze Zeit mit Jackett und Krawatte herumlaufen muss.«
»Ich wette, du hattest ganz vergessen, wie sich das anfühlt,
stimmt’s? Schließlich hast du schon ewig keinen richtigen Urlaub
mehr gemacht, seit mindestens… acht Jahren?«
»Nein, das kann nicht wahr sein!«
Jane rechnete kurz nach, dann nickte sie. »Doch, es stimmt. Du hast
zwar mal hier und da ein paar Tage freigenommen, aber 1995 war
das letzte Mal, dass du eine ganze Woche Ferien hattest. Erinnerst du
dich? Wir sind damals mit allen drei Kindern nach Florida gefahren.
Joseph hatte gerade die Highschool abgeschlossen.«
Sie hatte selbstverständlich Recht. Früher hätte ich diese Arbeitswut nur positiv beurteilt, aber jetzt sah ich darin eher einen Fehler.
»Es tut mir sehr Leid.«
»Was?«
»Dass ich nicht häufiger Urlaub genommen habe. Das war dir und
den Kindern gegenüber nicht fair. Ich hätte versuchen sollen, viel
öfter mit euch etwas zu unternehmen.«
»Ist schon gut«, sagte sie und wedelte mit ihrer Gabel. »Halb so
wild.«
»Ich sehe das inzwischen anders.«
Jane hatte sich zwar längst daran gewöhnt, dass für mich die Arbeit
immer an erster Stelle stand, und sie betrachtete meinen Fleiß als
Teil meines Charakters, aber geärgert hatte sie sich trotzdem immer
wieder, das war mir klar. Weil ich wusste, dass sie mir jetzt zuhören
würde, fuhr ich fort:
»Und ich möchte mich nicht nur dafür bei dir entschuldigen. Mir tut
so vieles Leid! Es tut mir Leid, dass die Arbeit mir so oft dazwischen
gefunkt hat und ich
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