Ein Tag wie ein Leben
Standesamt ein Gelöbnis
gemacht. Nun bin ich schon dreißig Jahre lang dein Ehemann - da
wird es Zeit für ein zweites Gelöbnis: Von nun an will ich der Mann
sein, der ich schon immer hätte sein sollen. Ich möchte in Zukunft
romantischer sein. Ich möchte dafür sorgen, dass die gemeinsamen
Jahre, die uns noch bleiben, so schön und erfüllt sein werden wie nur
möglich. Und in jeder dieser wertvollen Stunden, in jedem einzelnen
Moment möchte ich immer wieder etwas tun oder sagen, was dir
zeigt, dass du der Mensch bist, den ich liebe - den ich mehr liebe als
alles auf dieser Welt.
In Liebe,
Wilson
Als ich Janes Schritte hörte, blickte ich auf. Sie stand oben an der
Treppe. Im Gegenlicht konnte ich ihr Gesicht nicht sehen. Mit bedächtigen Schritten begann sie die Stufen hinunterzugehen, die Hand
auf dem Geländer.
Auf halber Treppe blieb sie stehen und suchte meinen Blick. Ich
sah, dass Tränen in ihren Augen schimmerten.
»Alles Gute zum Hochzeitstag«, sagte ich. Ohne den Blick von mir
zu nehmen, kam sie nun auf mich zu. Da wusste ich, was ich tun
musste.
Ich schloss sie in die Arme, ich drückte ihren weichen, warmen
Körper an mich, schmiegte meine Wange an ihr tränenfeuchtes Gesicht. So standen wir eng umschlungen in Noahs Haus, zwei Tage
vor unserem dreißigsten Hochzeitstag, und ich presste sie noch fester
an mich.
In jenem Augenblick wünschte ich mir, die Zeit möge stillstehen,
jetzt und für immer.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Jane den Kopf in den Nacken legte
und mich anschaute. Ihre nassen Wangen schimmerten im matten
Licht der Kerzen.
»Danke«, flüsterte sie.
Ich drückte sie noch einmal. »Komm mit, ich will dir etwas zeigen.«
Ich führte sie zur hinteren Tür, und wir traten hinaus auf die Veranda.
Der Mond leuchtete silbern, aber man konnte trotzdem den Juwelenschleier der Milchstraße erkennen. Venus stand hell am südlichen
Himmel. Die Temperatur war gefallen, ein milder Windhauch trug
mir Janes Parfüm zu.
»Ich dachte, wir könnten hier draußen essen. Es wäre etwas unpraktisch, wenn wir die Tische drinnen in Unordnung bringen würden,
findest du nicht?«
Sie hakte sich bei mir unter und bestaunte wortlos den vor uns stehenden Tisch.
Fast widerstrebend löste ich mich von ihr, zündete die Kerzen an
und griff zum Champagner.
»Möchtest du ein Glas?«
Hatte sie mich überhaupt gehört? Sie starrte jetzt hinaus auf den
Fluss, ihr Kleid wehte leicht im Abendwind.
»Ja, sehr gern.«
Mit einem leisen Plopp öffnete ich die Flasche, füllte zwei Gläser,
wartete, bis der Schaum vergangen war, und goss nach.
»Seit wann hast du das geplant?«, fragte Jane.
»Seit letztem Jahr. Seit unserem neunundzwanzigsten Hochzeitstag.
Ich dachte, ich habe etwas gutzumachen, was ich…«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »In meinen romantischsten Träumen hätte ich mir nichts Schöneres vorstellen können. Dieses Album
- und die Gedanken, die du dir zu den Bildern gemacht hast - so etwas Wunderbares hast du noch nie für mich getan.«
Ich wiederholte, das sei doch wohl das Mindeste, was ich für sie tun
könne, aber sie unterbrach mich wieder.
»Ich meine es ernst«, sagte sie leise. »Ich kann dir gar nicht sagen,
wie viel es mir bedeutet. Mir fehlen die Worte.« Sie seufzte tief.
Dann strich sie mit einem fast koketten Zwinkern über mein Revers
und sagte: »Übrigens - der Smoking steht Ihnen ausgezeichnet, junger Mann.«
Ich musste lachen, die Spannung wich. »Da fällt mir ein - ich trenne
mich zwar nur sehr ungern von dir…«
»Aber?«
»Ich muss nach dem Essen sehen.«
Sie nickte. Ach, wie hinreißend schön sie war! »Brauchst du Hilfe?«, fragte sie.
»Nein, danke, es sind nur noch ein paar Handgriffe.«
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich hier draußen bleibe? Es
ist so friedlich hier.«
»Nein, kein Problem. Bleib ruhig hier.«
Der Spargel war abgekühlt, also drehte ich die Flamme noch einmal
hoch. Die Sauce Hollandaise sah geronnen aus, aber nachdem ich
einmal umrührte, schien sie wieder einwandfrei. Dann öffnete ich
den Backofen und überprüfte die Konsistenz der Seezunge mit einer
Gabel. Sie brauchte nur noch wenige Minuten.
Der Sender, den ich im Küchenradio eingestellt hatte, spielte Musik
aus der Bigband-Ära. Ich wollte den Apparat gerade abstellen, da
hörte ich Janes Stimme hinter mir.
»Bitte, lass die Musik an.«
Ich blickte auf. »Ich dachte, du wolltest den Abend draußen genießen.«
»Das wollte ich auch, aber ohne dich war’s
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