Ein Tag wie ein Leben
nicht mehr halb so
schön«, erwiderte sie. Sie lehnte sich gegen den Tresen, in ihrer üblichen Pose. »Hast du diese Musik auch speziell für heute Abend bestellt?«
»Der Sender spielt sie schon seit ein paar Stunden. Wahrscheinlich
ist heute großer Bigband-Abend.«
»Ach, das ruft Erinnerungen wach!«, seufzte Jane. »Daddy hat
ständig Bigband gehört.« Sie fuhr sich verträumt durch die Haare.
»Habe ich dir eigentlich je erzählt, dass er und Mom oft in der Küche
getanzt haben? Beim Geschirrspülen fasste Daddy Mom plötzlich um
die Taille und schwenkte sie herum. Das erste Mal habe ich das beobachtet, als ich etwa sechs war. Damals habe ich mir nichts dabei
gedacht, ich hielt es für normal, aber als ich ein bisschen älter war,
fingen Kate und ich immer an zu kichern, wenn wir die beiden beim
Tanzen erwischt haben. Wir haben mit dem Finger auf sie gedeutet
und gegackert, aber sie lachten nur und tanzten weiter, als wären sie
die einzigen Menschen auf der Welt.«
»Das hast du mir noch nie erzählt.«
»Etwa eine Woche vor ihrem Umzug nach Creekside habe ich sie
zum letzten Mal tanzen sehen. Ich bin hier vorbeigekommen, weil
ich wissen wollte, wie es ihnen ginge. Ich habe sie durchs Küchenfenster gesehen, als ich den Wagen parkte, und mir sind vor Rührung
die Tränen gekommen. Ich wusste ja, dass ich die beiden so nie wieder sehen würde, jedenfalls nicht in unserem Haus. Es hat mir fast
das Herz gebrochen.« Jane schwieg, ganz in Gedanken versunken.
Dann schüttelte sie sich. »Entschuldige. Ich wollte nicht die Stimmung verderben.«
»Keine Sorge, du verdirbst mir nicht die Stimmung«, beruhigte ich
sie. »Deine Eltern gehören zu unserem Leben, und das hier ist ihr
Haus. Ehrlich gesagt - ich wäre irritiert, wenn du nicht an sie denken
würdest. Außerdem ist das doch eine bezaubernde Szene - so solltest
du die beiden in Erinnerung behalten.«
Jane schien über meine Worte nachzudenken. Ich schwieg ebenfalls, holte die Seezunge aus dem Backofen und stellte sie oben auf
den Herd.
»Wilson?«, fragte sie leise.
Ich drehte mich um.
»Du hast in deinem Brief geschrieben, du wolltest von jetzt an romantischer sein. Meinst du das ernst?«
»Ja.«
»Heißt das, dass wir noch öfter einen Abend wie heute verbringen
werden?«
»Wenn du möchtest.«
Sie legte den Finger ans Kinn. »Es wird allerdings schwieriger sein,
mich zu überraschen. Du musst dir wieder etwas Spektakuläres einfallen lassen.«
»Ach, das schaffe ich schon.«
»Ja?«
»Zur Not könnte ich jetzt gleich mit einer neuen Idee aufwarten.«
»Zum Beispiel?«
Ich überlegte nicht lange, sondern stellte kurz entschlossen den
Herd ab und nahm den Spargel von der Flamme. Gespannt verfolgte
Jane meine Bewegungen. Ich knöpfte mein Jackett zu, ging auf sie zu
und verbeugte mich.
»Darf ich um diesen Tanz bitten, Liebste?«
Jane errötete, nahm meine Hand und schlang den anderen Arm um
meinen Nacken. Ich zog sie zu mir, genoss ihre körperliche Nähe.
Schwungvoll wiegten wir uns im Takt der Musik. Ich atmete Janes
Lavendelshampoo ein und fühlte ihre Schenkel an meinen.
»Du bist wunderschön«, flüsterte ich, und Jane antwortete, indem
sie mit dem Daumen über meinen Handrücken fuhr.
Als das Stück zu Ende war, blieben wir stehen, ohne uns loszulassen - wir warteten, bis das nächste begann und wir weitertanzen
konnten, langsam, eng. Als Jane den Kopf in den Nacken legte, um
mich anzusehen, lächelte sie, und dann strich sie mir kurz über die
Wange, eine hauchzarte Berührung. Und als würde ich mich an eine
alte Gewohnheit erinnern, beugte ich mich zu ihr. Unsere Lippen
kamen sich immer näher…
Ihr Kuss war fast nur ein Hauch, doch dann ließen wir unseren Gefühlen freien Lauf, unserem sehnsüchtigen Verlangen. Ich umschloss
sie mit meinen Armen und presste meinen Mund auf ihren, ich spürte
ihre leidenschaftliche Lust so deutlich wie meine eigene. Ich vergrub
meine Hand in ihrem Haar, und sie stöhnte leise, ein Geräusch, so
elektrisierend, so vertraut und neu zugleich, das Wunder aller Wunder.
Wortlos löste ich mich von ihr, schaute ihr tief in die Augen und
führte sie aus der Küche. Ich fühlte wieder ihren Daumen auf meinem Handrücken, während wir auf dem Weg durch das Wohnzimmer eine Kerze nach der anderen auspusteten.
In der samtenen Dunkelheit ging ich mit ihr nach oben. Silberner
Mondschein fiel durch das Fenster ihres alten Schlafzimmers, und
eingehüllt in Licht und Schatten umarmten wir
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