Ein Tag wie ein Leben
denke.
Viele Dinge haben sich nicht verändert, trotz der langen Zeit. Immer noch gilt morgens beim Aufwachen mein erster Gedanke dir. Oft
liege ich einfach nur neben dir und schaue dich an. Ich sehe dein
Haar auf dem Kissen, einen Arm hast du über den Kopf gelegt, ich
sehe, wie sich deine Brust sanft hebt und senkt. Manchmal, wenn du
träumst, rücke ich ein bisschen näher, in der Hoffnung, ich könnte so
vielleicht Zutritt zu deinen Träumen bekommen. Diese Gedanken und
Gefühle sind nicht neu. Seit ich dich kenne, in all den Jahren unserer
Ehe, bist du mein Traum, und mir ist mehr als bewusst, was für eine
glückliche Fügung es war, dass ich dich damals im Regen zum Auto
gebracht habe - und wie gut es mir seither geht, wie sehr mich das
Schicksal verwöhnt hat.
So oft denke ich an jenen Tag zurück! Es ist ein Bild, das ich niemals vergessen werde, das mich immer begleitet, und jedes Mal,
wenn ein Blitz den Himmel zerreißt, erlebe ich dieses Déjà-vuGefühl. In solchen Augenblicken scheint es mir, als würden wir wieder von Neuem beginnen, und ich fühle, wie mein Herz schneller
schlägt, wie damals das Herz jenes jungen Mannes, der plötzlich
seine Zukunft vor sich sah und sich ein Leben ohne dich nicht mehr
vorstellen konnte.
Ganz ähnlich geht es mir mit fast allen Erinnerungen, die ich heraufbeschwören kann. Wenn ich an Weihnachten denke, sehe ich
dich unter dem Baum sitzen, wie du strahlend mit den Kindern die
Geschenke auspackst. Wenn ich an laue Sommerabende denke, spüre
ich deine Hand in meiner, während wir unter dem klaren Sternenhimmel einen romantischen Nachtspaziergang machen. Sogar bei
der Arbeit ertappe ich mich, wie ich immer wieder auf die Uhr sehe
und mich frage, was du wohl gerade tust. Oft sind es ganz normale
Alltagssituationen, die ich vor mir sehe - wie du dir bei der Gartenarbeit einen Fleck von der Wange wischst oder wie du in der Küche
am Tresen lehnst und dir mit der Hand durch die Haare fährst, während du telefonierst. Ich glaube, ich will dir vor allem eines sagen:
dass du immer bei mir bist, bei allem, was ich bin, bei allem, was ich
tue, und wenn ich zurückblicke, weiß ich, dass ich dir viel öfter hätte
sagen müssen, wie viel du mir bedeutest.
Es tut mir sehr Leid, dass ich dir das nicht oft genug gesagt habe
und zugleich möchte ich mich für die unzähligen Enttäuschungen
entschuldigen, die ich dir zugemutet habe. Ich wollte, ich könnte die
Zeit zurückdrehen und alles besser machen. Wir wissen beide, dass
das nicht möglich ist, aber ich bin zu folgender Überzeugung gekommen: Das Geschehene kann zwar nicht mehr rückgängig gemacht werden, und wir sind nicht imstande, nachträglich etwas zu
verändern - aber wir können die Dinge neu beleuchten, wir können
unsere Sicht der Vergangenheit neu gestalten, und dafür steht dieses
Album.
Du findest hier viele, viele Fotos. Manche sind Abzüge von Bildern
aus unseren eigenen Alben, aber die meisten stammen von anderen.
Ich habe unsere Freunde und Verwandten gefragt, ob sie Fotos von
uns beiden besitzen, und im Verlauf des letzten Jahres sind aus allen
Ecken und Winkeln des Landes Bilder eingetroffen. Du wirst ein Foto
finden, das Kate bei Leslies Taufe gemacht hat, und ein Bild von einem Betriebspicknick vor einem Vierteljahrhundert, aufgenommen
von Joshua Tundle. Noah hat eine Aufnahme von uns beiden beigesteuert, die er an einem verregneten Thanksgiving gemacht hat, als
du mit Joseph schwanger warst, und wenn du genau hinschaust,
wirst du die Stelle sehen, wo mir zum ersten Mal bewusst wurde,
dass ich mich unwiderruflich in dich verliebt habe. Auch Anna, Les
lie und Joseph haben alle drei das Ihre beigetragen.
Bei jedem Foto, das eintraf, habe ich versucht, mich in den Augenblick seiner Entstehung zurückzuversetzen. Zuerst waren meine Erinnerungen wie diese Schnappschüsse - kurze, in sich abgeschlossene
Momentaufnahmen. Doch dann habe ich gemerkt: Wenn ich die Augen schließe und mich konzentriere, beginnt die Zeit sich rückwärts
zu bewegen. Und ich habe mich bei jedem Bild auch daran erinnert,
was ich in der betreffenden Situation dachte.
Und so entstand der zweite Teil des Albums. Zu jedem Bild habe ich
auf der gegenüberliegenden Seite niedergeschrieben, welche Erinnerungen mit dieser Aufnahme verbunden sind, das heißt vor allem,
welche Rolle du in diesen Erinnerungen spielst.
Ich gebe diesem Album den Titel: »Die Dinge, die ich dir hätte sagen sollen.«
Ich habe dir einst auf den Stufen vor dem
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