Ein Tag wie ein Leben
paar Tagen hier!«
Ich reichte ihr ein Weinglas. »Heißt das, du bist mit dem Ergebnis
einverstanden?«
»Ob ich einverstanden bin?« Sie trank einen Schluck. »Das Haus
war noch nie so schön!«
Das Kerzenlicht spiegelte sich in ihren Augen.
»Hast du denn noch keinen Hunger?«, fragte ich sie.
Sie erschrak fast. »Ehrlich gesagt - darüber habe ich noch gar nicht
nachgedacht. Ich würde gern meinen Wein trinken und mich noch
ein bisschen umsehen, ehe wir gehen.«
»Wir müssen nicht gehen. Ich dachte, wir essen hier.«
»Aber - es ist doch gar nichts da.«
»Wart’s nur ab. Du solltest dich jetzt einfach entspannen und dich
noch ein wenig umsehen, während ich schon mal anfange.«
Ich ging in die Küche, wo ich schon einiges für das luxuriöse Mahl
vorbereitet hatte. Die mit Krabben gefüllte Seezunge befand sich
bereits im Backofen, ich musste nur noch die richtige Temperatur
einstellen. Die Zutaten für die Sauce Hollandaise waren abgemessen
und warteten darauf, in den Saucentopf gegeben zu werden. Die Salate waren gemischt, das Dressing fertig.
Während ich arbeitete, warf ich immer wieder einen Blick in den
Salon. Obwohl alle Tische im Prinzip gleich aussahen, blieb Jane an
jedem stehen - vielleicht überlegte sie sich, wer wo sitzen könnte.
Nachdenklich legte sie hier eine Gabel anders hin und drehte dort
eine Blumenvase, um sie dann wieder in ihre Ausgangsposition zu
bringen. Eine Aura kindlicher Zufriedenheit umgab sie. Ich war richtig gerührt. Was mir, wie ich zugeben muss, in der letzten Zeit häufiger passierte.
In Gedanken ging ich noch einmal die Ereignisse der vergangenen
Tage durch. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass selbst die schönsten Erinnerungen mit der Zeit verblassen, doch ich wollte keine einzige Minute der letzten Woche vergessen. Und ich wünschte mir,
dass auch Jane jeden Moment in sich bewahren würde.
»Jane?«, rief ich. Ich konnte sie nicht sehen. Wahrscheinlich stand
sie wieder beim Klavier.
Sie erschien in der Tür. Ihr Gesicht leuchtete richtig. »Ja?«
»Würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Ja, klar, brauchst du Hilfe in der Küche?«
»Nein. Ich habe meine Schürze oben vergessen. Wärst du bitte so
nett und würdest sie für mich holen? Sie liegt auf dem Bett in deinem
ehemaligen Zimmer.«
»Das mach ich doch gern.«
Mit leichten Schritten eilte sie die Treppe hinauf. Ich wusste, sie
würde erst wieder herunterkommen, wenn das Essen so gut wie fertig
war.
Leise vor mich hinsummend begann ich, den Spargel zu putzen.
Meine Nervosität nahm wieder zu. Hoffentlich freute sie sich über
das Geschenk, das sie oben auf dem Bett erwartete.
»Alles Gute zum Hochzeitstag«, flüsterte ich.
Als das Wasser kochte, stellte ich den Backofen an und trat hinaus
auf die hintere Veranda. Dort hatte der Catering Service, wie vereinbart, einen Tisch für uns beide aufgestellt. Ich überlegte, ob ich den
Champagner schon aufmachen sollte, beschloss dann aber, lieber auf
Jane zu warten.
Inzwischen hielt sie mein Geschenk in der Hand: Das Album handgebunden, mit einem geprägten Ledereinband - war an sich
schon etwas Besonderes, aber es kam mir vor allem auf den Inhalt
an. Die Bilder hatte ich mithilfe unzähliger Menschen zusammengetragen, ganz speziell für unseren dreißigsten Hochzeitstag. Wie
schon bei den anderen Geschenken hatte ich auch hierzu etwas
Schriftliches verfasst: Endlich hatte ich den Brief geschrieben, den
ich immer schreiben wollte, so wie Noah es mir ans Herz gelegt hatte. So oft hatte ich Anlauf genommen, aber immer ohne Erfolg. Ich
hatte die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben, doch die Erfahrungen des letzten Jahres und vor allem die der vergangenen Woche
hatten mich schließlich beflügelt und meinen Worten eine neue Kraft
verliehen.
Liebste,
es ist schon spät, aber ich sitze noch an meinem Schreibtisch. Im
Haus ist alles still, bis auf das Ticken der alten Standuhr. Du schläfst
oben, und obwohl ich mich danach sehne, die Wärme deines Körpers
zu spüren, möchte ich zuerst diesen Brief schreiben. Ich weiß selbst
nicht recht, warum.
Wo soll ich anfangen? Ich bin mir auch gar nicht sicher, was ich
sagen soll, aber irgendwie erscheint es mir richtig, dass ich dir nach
all den Jahren schreibe, was ich denke und fühle - nicht nur deinetwegen, sondern auch für mich selbst. Nach dreißig Jahren ist es das
Mindeste, was ich tun kann.
Kennen wir uns wirklich schon so lange? Es versetzt mich immer
wieder in Staunen, wenn ich daran
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