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Ein Tag, zwei Leben

Ein Tag, zwei Leben

Titel: Ein Tag, zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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Gips die Tasche auf der anderen Seite der Theke herunter. Der Reißverschluss am Rucksack war offen und der ganze Inhalt – einschließlich Notizbuch – landete direkt vor Ethans Füßen.
    » Mist«, rief ich, während sich Ethan bückte und meine Sachen aufhob. Ich schoss hinter der Theke hervor, aber als ich bei ihm ankam, richtete er sich schon wieder auf, in der einen Hand meine Tasche, in der anderen das offene Notizbuch.
    Mit ausdruckslosem Gesicht reichte er mir die Tasche.
    » Danke«, sagte ich und streckte die Hand nach dem Notizbuch aus. Ich war mir sicher, dass er die Liste gesehen hatte, und hätte mir am liebsten selbst in den Hintern getreten, weil ich einen schwarzen Filzstift dafür benutzt hatte.
    Gelassen reichte er es mir. Ich steckte es zurück in meine Tasche, während er sich erneut bückte, um etwas unter der Theke hervorzuholen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Es war eine Tablettenschachtel. Er sah mich neugierig an. » Deine?«
    Wenigstens war ich vorausschauend genug gewesen, die Tabletten in eine neutrale weiße Schachtel zu stecken. Er konnte nicht wissen, was das war – und wenn er fragte, würde ich ihn zum Schweigen bringen, indem ich sagte, die Tabletten seien gegen Regelbeschwerden. Doch weil weder ein Etikett noch ein Rezeptkleber darauf war, sah er die Schachtel misstrauisch an.
    Ich riss sie ihm aus der Hand und schob sie in meine Tasche. » Danke«, murmelte ich.
    Und wer sah jetzt aus wie ein Drogendealer?
    » Keine Ursache.« Er zog eine Augenbraue hoch, und wieder bemerkte ich, wie dunkel seine Augen waren. Von einem tiefen Meerblau. Mein Blick wanderte hinunter zu seinem Mund und blieb dort irgendwie hängen. Ich starrte auf den Bogen, den seine volle Unterlippe bildete, als seine Zähne sanft darüberglitten, als würde er gerade über etwas Wichtiges nachdenken. Er räusperte sich, und ich wurde rot, weil er mich beim Gaffen erwischt hatte. » Na, dann gehen wir wohl besser mal.« Er deutete zur Tür.
    » Oh, nein. Sie … Du brauchst doch nicht … Ich werde einfach zweimal gehen, das ist in Ordnung.« Als ich wieder ein wenig von meinem Rückgrat zurückgewonnen hatte, kniff ich die Augen zusammen und fügte ein wenig bissig » Echt nicht« hinzu.
    Er zuckte mit den Achseln und lächelte ein wenig, meine Unbehaglichkeit genießend. » Ich habe ohnehin nichts Besseres vor.«
    Oh, wie schmeichelhaft.
    » Nun gut. Wie auch immer«, sagte ich. Wenn er den großen Invalidenhelfer spielen wollte, dann war das sein Problem. Und nachdem ich mich aus meinem weißen Kittel geschlängelt hatte, habe ich auch nicht seine Rückseite angestarrt, als ich ihm aus dem Laden hinaus folgte. Es war allenfalls ein ganz flüchtiger Blick.

6 – Roxbury, Samstag
    Im Drogeriemarkt war Ethan bereits frostig gewesen, aber als wir ihn verlassen hatten, verströmte er eine geradezu arktische Kälte. Ich ließ ihn unter dem unbehaglichen Schweigen leiden und hatte nicht die Absicht, es zu brechen. Es war klar, dass er das genauso wenig tun wollte wie ich.
    » Bist du auf dem College«, fragte er schließlich.
    » Ich schließe gerade die Highschool ab«, erwiderte ich und vermied Blickkontakt. Ich wollte diesen Typen nicht zu Small Talk ermuntern.
    » Und? Große Pläne für die Zukunft?«
    Ich verdrehte die Augen. Als ob ihn das interessieren würde. » Ja, schon. Ich freue mich darauf, fertig zu sein und neue Möglichkeiten zu haben.«
    » Ach ja?« Er zog die Augenbrauen nach oben. » Und was wären das für Möglichkeiten?«
    Ich zuckte mit den Achseln, verwirrt über sein Interesse. » Da bin ich mir noch nicht sicher, aber mir gefällt der Gedanke an eine Zukunft, in der ich einen Tag nach dem anderen erleben und ganz auskosten kann. So stelle ich mir das vor.«
    Er nickte, sein Blick wanderte hinunter zu meinem Gips. » Und was hast du da gemacht?«
    Ich zuckte zusammen und schüttelte über mich selbst den Kopf. » Auf der Treppe in der U-Bahnstation gestolpert.«
    » So was passiert.«
    » Mir nicht«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Er warf mir einen seltsamen Blick zu.
    » Ich meine, ich habe nur … ich hatte mir vorher noch nie etwas gebrochen.«
    Er starrte mich immer noch neugierig an, aber dann erreichten wir zum Glück die Reinigung und er hörte auf, Fragen zu stellen. Er fing erst wieder an zu sprechen, als wir wieder draußen waren; er bestand darauf, die weißen, in Plastik eingepackten Kittel zu tragen.
    » Danke«, sagte ich und versuchte meinen Blick davon abzuhalten, zu

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