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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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selbstverständlich sitzt du auf einem handgeknüpften Teppich auf dem Boden – rauchst zu viel, trinkst noch mehr Tee.
    Flüstere niemals, wenn du auch schreien kannst. Sag niemals die Wahrheit, wenn du auch lügen kannst.
    Ach, was für ein Wunder, südlich des Kaspischen Meeres geboren zu sein! Vielleicht steckt ein kreischendes, muttermörderisches, kaum zu zügelndes Dschinn-Temperament in dir. Vielleicht bist du mit einer überaus unschmeichelhaften Krähenschnabel-Nase gesegnet. Und falls du kein entwurzelter
dehati
bist oder ein Mischling, gibt es in deiner Familie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Fälle von poetischem Wahnsinn. Aber all das wird durch die Fähigkeit wettgemacht, über Nacht einen kleinen Hirsch zu verdauen.
    »Ach, Saba-dschan, das ist vollkommen richtig! Sogar noch schlimmer, wenn du mich fragst.«
    Sie lachen laut und verschütten ihre Drinks, als Cameron mit seiner Politikerstimme erklärt, ihre Arbeit sei erfolgreich beendet, und Mahtab applaudiert und beschließt, verliebt zu sein. Was für eine seltsame Welt. Meine Mahtab, die so viele Teelöffel Meer weit weg ist, schafft es dennoch, sich in einen persischen Mann zu verlieben. Soll ich sie warnen? Wenn ich nur wüsste, wie ich sie erreichen kann.
    In dieser glückseligen Zeit, ehe Cameron auf die Probe gestellt wird, erscheint er ihr wunderbar.
    Bevor Abbas zum Ungeheuer wurde, schien auch er zart und sanft, und ich liebte ihn auf eine andere Art. Er war so etwas wie ein Vater für mich, wenn mein eigener unerreichbar war. Aber Mahtab braucht jetzt keinen Vater. Sie hat Baba Harvard. Und deshalb ist Cameron vor seiner Verwandlung in Abbas sein eigenes einzigartiges Ich, sein natürliches Ich, eine unstete, vertriebene männliche Mahtab. Ein Verbannter und wie für sie geschaffen.
    Sie weiß nicht, dass ihr ideales iranisches anderes Ich – obwohl er da steht und sich die Zähne putzt, während sie ihn im Badezimmerspiegel beobachtet – gar nicht existiert.
    Sie will ihn berühren, umarmen, ihre Vorbehalte in den Wind schlagen und in seine Kleidung kriechen, ihm nah sein. Warum will er das nicht auch? Manchmal, wenn er ausgestreckt auf dem Rücken schläft, alle Gliedmaßen von sich gestreckt, legt sie sich in genau derselben Haltung auf ihn, sodass jeder Zentimeter von ihr ihn berührt, von ihren Zehenspitzen auf seinen Fußknöcheln bis zu ihrem Kopf knapp unter seinem Kinn, ihre Finger passgenau auf seinen. Sie lauscht seinem langsamen Herzschlag und wünscht sich, sie könnten in dieser Position erstarren, wie zwei Hälften eines Seesterns.
    Obwohl sie mittlerweile nicht mehr zählen können, wie viele lange Abende sie so gemeinsam verbracht haben, spürt Mahtab, dass irgendetwas nicht stimmt, wenn Cameron ihre Hand hält, wenn er sie küsst, wenn er kurz vor Ende jedes Films aufsteht und ihre zahlreichen, aber kurzlebigen Knutschereien auf der Couch abbricht. Er ist konservativ, denkt sie. Seine Reaktion auf sie weckt eine tiefe, anhaltende Frustration in ihrem Bauch, in ihren Gliedmaßen, die über ihm verharren. Hat Mahtab schon mit einem Mann geschlafen? Das weiß ich nicht. Schlafen amerikanische Frauen mit Männern, ehe sie verlobt sind? Im Fernsehen ja, aber vielleicht würde Mahtab das nicht tun. Sie muss es nicht tun. Eines Tages wird sie den Mann ihrer Wahl heiraten und alles haben.
    Einmal küsst sie seinen Bauch, und er weicht vor ihr zurück. Er hält ihre Hände hinter ihrem Rücken fest und sagt scherzhaft: »Ich dachte, wir hätten eine islamische Beziehung.« Sie lacht und denkt, dass er bloß schüchtern ist.
    Wenn sie im Kino arbeitet, liest sie manchmal Forough Farrokhzad.
O Sterne, was geschah, dass er mich nicht wollte?
Und dann, ganz die gute Perserin, belügt sie sich selbst.
    Sie begeht den Fehler, ihrer Mutter von Cameron zu erzählen. Maman wird sofort nervös. »Lass dich nicht mit einem iranischen Mann ein, Mahtab-dschan.« Sie sagt nicht, warum, und Mahtab fragt nicht nach, denn auch ihre Mutter hat ihre ganz eigenen persönlichen Ängste.
    Als ihre Romanze zwei Monate alt ist, werden sie von den Aryanpurs zum Abendessen in ihrem Haus in New York eingeladen. Je näher der Tag rückt, desto unruhiger wird Cameron. »Meine Eltern sind sehr traditionell. Sehr fromme Muslime«, sagt er. »Bitte pass auf, was du sagst. Sprich nicht über den Iran oder über Politik und erwähne ja nicht, dass du Christin bist.« Er zupft an seinen Nagelhäutchen herum. »Und da wäre noch was.« Er schaut

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