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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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führt, erinnert Mahtab an ihren eigenen Vater – obwohl sie nicht weiß, wieso. Sie denkt an José vom Diner und überlegt, ob dieser Mann sie vielleicht an alle Väter erinnert. Der leere Raum, in dem Mahtab die Sehnsucht nach ihrem Vater verwahrt, ist voller Schmerz. Sie möchte hinübergreifen und Mr Aryanpurs Hand berühren, ihm Tee nachgießen und ihm zeigen, dass sie niemals Ärger verursachen würde, möchte die vielen Ähnlichkeiten zwischen ihm und Cameron aufzählen. Sie hat das Gefühl, dass er den Großteil des Tages im Haus verbringt, wahrscheinlich, weil er keine Felder hat, über die er wachen muss. »Wir sagen Cameron andauernd, er soll ein kluges Mädchen heiraten«, erklärt Mr Aryanpur mit seiner tiefen, dumpfen Stimme.
    »Baba!«, protestiert Cameron.
    »Ist doch wahr, oder?« Camerons Vater blickt schockiert. »Was ist denn an der Ehe so beschämend? Warum solltest du dein Leben vergeuden?« Mr Aryanpur spricht weiter, als hätte Cameron ihn nie unterbrochen. »Aber es ist nicht Camerons Schuld. Wir haben ihm geraten, sich mit den Mädchen Zeit zu lassen und sich auf sein Studium zu konzentrieren.«
    Und dann sagt Mrs Aryanpur, als würde es ihr just in diesem Moment einfallen: »Unser Sohn ist Jahrgangsbester, wissen Sie? Wussten Sie das?« Sie sieht Mahtab gespannt an.
    »Ja, das wusste ich.« Sie lacht und wendet sich Camerons Vater zu, der wieder etwas sagt.
    »Ich denke, Sie würden eine reizende Kandidatin abgeben. Was machen Ihre Eltern?«
    Cameron will widersprechen, doch sein Vater sieht ihn an und blafft so laut, dass Mahtab fast zusammenzuckt: »Ich hab dir gesagt, du sollst dich nicht so hinsetzen.« Sofort nimmt Cameron das Bein herunter, das er über das andere geschlagen hatte, und läuft dunkelrot an. Die Erwiderung, die er auf die Heiratsbemerkung seines Vaters machen wollte, ist jetzt vergessen, und Mahtab wüsste zu gern, was er gesagt hätte. Cameron meidet den Blick seines Vaters und lächelt seine Mutter liebevoll an, die seine Hand nimmt. Mr Aryanpur redet weiter über den Iran und Bildung und die Bedeutung der einzelnen Wandbehänge. Er wirkt älter als seine Frau, scheint stärker an Gewohnheiten festzuhalten. Sie trinkt ihren Tee aus einer Tasse, während er seinen zum Abkühlen in die Untertasse schüttet, einen Zuckerwürfel zwischen die Zähne klemmt und dann die Untertasse mit beiden Händen an die Lippen führt – so wie man uns Kindern den Tee serviert hat, damit wir uns nicht den Mund verbrennen.
    Mahtab mag den Mann. Am Ende des Abends hat sie das Gefühl, dass sie bald zum schönen Inventar im Leben der Aryanpurs gehören könnte.
    Auf der Rückfahrt zum Campus hört Cameron gar nicht auf, sich bei Mahtab für seine Eltern zu entschuldigen. Auch nachdem Mahtab ihm gesagt hat, dass sie sich sehr wohlgefühlt hat, bleibt er angespannt und unruhig. Sie denkt sich nichts dabei und geht davon aus, dass er am nächsten Morgen wieder der Alte sein wird.
    Am folgenden Tag versucht sie, ihn anzurufen, erreicht ihn aber nicht. Tage vergehen, ohne dass er sich meldet. Als sie sich eines Nachmittags zufällig über den Weg laufen, sagt er, dass er mit seinen Recherchen über den Iran alle Hände voll zu tun hat und dass sein Studienbetreuer ihm bei seinem großen Vorhaben helfen wird, dorthin zurückzugehen.
    »Hast du genug von mir, jetzt, wo du deine Eltern beschwichtigt hast?«, sagt sie im Scherz.
    Er lacht und erwidert, dass er nie genug von ihr bekommen könne. Aber sagt er die Wahrheit, dieser junge, elegante Perser? Ist er ihrer überdrüssig?
    Die ganze nächste Woche lenkt Mahtab sich mit Arbeit ab. Sie ist immer knapp bei Kasse und jobbt jeden Abend im Kino. Sie hat ein vages ungutes Gefühl wegen Cameron, empfindet etwas diffus Störendes, wie eine Blase am Fuß oder ein nerviges Insekt, aber sie ist zu beschäftigt, um etwas dagegen zu unternehmen – bis sie eines Abends früher Feierabend hat und spontan beschließt, ihn zu besuchen.
    Sie eilt an der Bibliothek und der Campuszentrale vorbei. Vor einem kleinen Schaufenster frischt sie ihr Make-up auf, ehe sie sein Wohnheim betritt. Da Camerons Tür unverschlossen ist, schlüpft sie hinein, ruft seinen Namen und wirft ihre Tasche auf die Couch. Sie hört ein Geräusch im Badezimmer. Sie läuft zum Schlafzimmer, streift ihren Mantel ab und denkt ans Abendessen. Cameron ist da – für einen Moment ist Haut zu sehen, als er einen Pullover überstreift, einen traurigen Ausdruck im Gesicht.
    Neben ihm, auf

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