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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Salat – Moment, gibt es vor der Widener Library einen Rasen? Ja, doch, ich bin sicher. Mahtab liegt im Gras, die Hände hinterm Kopf verschränkt. Sie rückt sich die Sonnenbrille auf der Nase zurecht und stochert in ihrem Salat herum. Sie bemerkt den dunklen, lächelnden Jungen gar nicht, der mit neugieriger Miene neben ihr stehen bleibt. Er ist jung, nicht älter als Mahtab, möglicherweise im letzten Studienjahr, schlecht rasiert, groß, und er trägt eine teure Jeans. »Bist du Iranerin?«, fragt er. »Ich hab dafür einen ganz guten Blick, aber bei dir bin ich mir nicht sicher.«
    »Wahrscheinlich, weil ich meine Nase hab operieren lassen«, sagt Mahtab leichthin, beinahe gelangweilt. Seine Schönheit beeindruckt sie überhaupt nicht. Sie ist exquisite Männer gewohnt.
    »Das ist normalerweise das deutlichste Indiz«, sagt er. Sein jungenhaftes Grinsen entlockt ihr ein Lachen.
    Er heißt Cameron. Er wählt die westliche Version des Namens, nicht das persische Kamran. Cameron Aryanpur.
Aryan Poor
. Armer Arier. Sein Name gefällt ihr.
    »Also,
May
.« Cameron spricht ihren Namen skeptisch aus, wie etwas Vorläufiges, wie ein
Mal-sehen
. »Hättest du Zeit, mit einem armen Arier auszugehen?«
    »Wie arm?«, fragt sie und sagt Ja, ehe er antworten kann.
    Cameron ist der erste persische Mann, mit dem Mahtab je ein Date hatte oder es überhaupt in Erwägung gezogen hat. In vielerlei Hinsicht sind ihrer beider Leben parallel verlaufen, aber Camerons Familie hat den Iran lange vor der Revolution verlassen und konnte ihr Vermögen mit europäischen Währungen und amerikanischem Grundbesitz sichern. Das Semester verstreicht, und Mahtab stellt fest, dass sie irgendwie immer in seiner Nähe ist. Sie verbringen gemeinsame Abende in seinem Wohnheimzimmer, schauen sich Filme an, sprechen Farsi, wärmen die klassischen persischen Gerichte auf, die seine Mutter ihm aus Westchester mitgebracht hat. Tomaten und Auberginen mit Lamm. Bockshornklee, Petersilie und Koriander mit Lamm. Spalterbsen und Kartoffeln mit Lamm.
    Sie reden über Essen, Musik, Bücher – alles, was sie von ihrer Kultur beibehalten haben. Sie flirten auf Englisch und auf Farsi, eine wundersame Mittelsprache, die ungemein sinnlich ist. Sie hinterlassen einander kleine Mitteilungen an den Schwarzen Brettern in ihren Wohnheimen und benutzen dafür Farsi-Buchstaben, wie einen kindlichen Geheimcode. Da niemand sonst die Nachrichten lesen kann, schreiben sie sich die skandalösesten Dinge. Weißt du, Khanom Omidi, sie können das am helllichten Tage tun, und keiner hindert sie daran. Begeistert stellt Mahtab fest, dass sie sehr viel kitschiger ist, als sie gedacht hat. Sie kann Stunden damit zubringen, diese schwülstigen kleinen Botschaften an ihn zu verfassen. Und auch Cameron scheint ganz hingerissen von ihrer gemeinsamen Herkunft, und sie fragt sich, ob sie beide vielleicht in irgendeinem ethnischen Bühnenstück mitspielen. Ihre private Theatervorstellung währt lange und reißt Mahtab mit wie ein guter Film.
    Sie besuchen gemeinsam Vorlesungen, tragen Jeans und Sweatshirts. Sie gehen im Schlafanzug auf Partys. Sie sitzen an Esstischen mit Rotwein und Unterlagen für Diplomarbeiten.
    Manchmal probiert er Sprüche an ihr aus, bezeichnet sie als sein persisches Lieblingsgericht oder als seine Shomali Schahzadeh. Dann verdreht sie ihre Mandelaugen und denkt, dass er übt, wie er sich bei anderen persischen Frauen geben soll. Sie hat noch niemanden kennengelernt, der einerseits so überzeugt ist von seinem eigenen Charme und andererseits so offensichtlich dabei ist zu lernen. Er hat eine jugendliche Aura, so wie Abbas die Aura des Todes hat. Aber der arme Arier ist nicht nur eine Art Prinz, ein weiteres Kind von Baba Harvard, er ist auch ein Dichter, der unter denselben Einwandererfragen leidet, die auch Mahtab verwirren. Sie erzählt ihm, wie ungern sie in dem Kino jobbt und dass sie Journalistin werden möchte. Er erzählt ihr, dass er zurück in den Iran will, um sich irgendwie am Widerstand zu beteiligen und sich für ein neues Regime einzusetzen. Er schwärmt von der Idee einer Untergrundbewegung – und überhaupt von allem, was mit Untergrund zu tun hat: Filme, Musik, Bücher –, der Wiederentdeckung »unserer Heimat«. Er verwendet ganz bewusst Farsi-Wörter in seinem Englisch:
rusari
, nicht »Kopftuch«,
khiar-shur
, nicht »Eingemachtes«.
    »Er ist wie du, Saba-dschan«, sagt Khanom Omidi, »du wirfst auch immer mal was Englisches ein.«
    Wie jedes

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