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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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sie nicht an. Seine Nervosität macht Mahtab neugierig. »Meine Mutter«, murmelt er. »Sie trägt den Hidschab.«
    Mahtab lacht erleichtert. »Kein Problem. Das ist nicht der erste Hidschab, den ich sehe. Ich hab schließlich mal im Iran
gelebt

    »Nein, hör doch mal«, sagt er und umschließt ihre Hand mit seinen. »Ich wäre dir unendlich dankbar, wenn du bitte die Möglichkeit in Erwägung ziehen würdest, zum Abendessen ein Kopftuch zu tragen.«
    Mahtab spürt, wie ihr das Blut aus dem Gesicht weicht. Sie öffnet den Mund, bringt aber keinen Ton heraus. Er sagt noch einmal: »Bitte«, und ihre Sprache kehrt zurück, rast mit der Wut einer wilden, galoppierenden Pferdeherde heran. »Nein, verdammt noch mal, nie im Leben. Frag mich das nie wieder.«
    Mahtab stürmt dermaßen entrüstet aus Camerons Wohnheimzimmer, dass sie damit rechnet, ihn nie wiederzusehen. Sie knallt jede Tür zwischen seinem Zimmer und ihrem, tobt vom Flur auf die Straße und zurück in ihr Zimmer. Der nächste Tag ist von Verwirrung überschattet, dem nicht enden wollenden Nachdenken über Camerons Äußerungen und Absichten. Offenbar kennt er sie überhaupt nicht, und das nach so vielen gemeinsamen Abenden. In Mahtabs Welt ist eines sicher, nämlich die unverrückbare Tatsache, dass sie nie und nimmer, unter gar keinen Umständen, einen Hidschab tragen wird. Wieso steht sie dann auf einmal vor einem Laden namens Hermès – oder heißt es
House of Hermès
? Ich weiß nicht, welcher Name an der Tür steht – und betrachtet dieses teure blau-violett karierte Kopftuch im Schaufenster? Wieso mustert sie es derart genau, mit solch gemischten Gefühlen, als würde sie den Beweis für die Verbrechen anstarren, die sie in ihrem Leben bislang begangen hat? Und wieso steht sie an einem Freitagmorgen vor Seminarbeginn vor Camerons Tür, in der einen Hand die orangefarbene Hermès-Schachtel – wie man sie von Urlaubern aus Teheran kennt, die sie zu ihren Strandvillen mitbringen, um mit ihren ausländischen Einkäufen zu prahlen – und in der anderen eine ausgereizte Kreditkarte, den Kopf modisch (nämlich nur halb) bedeckt, wie eine perfekte Imitation von Jackie Kennedy mit der dazugehörigen übergroßen Sonnenbrille?
    »So wie die mondänen Teheraner Frauen es tragen«, sagt Khanom Omidi. »Sehr hübsch.«
    Während sie dasteht und wartet, ringt Mahtab mit sich. Sie, die ihre Würde niemals verrät, will auf der Stelle kehrtmachen, will ihre Füße zwingen davonzulaufen. Irgendwo ganz tief in ihrem Bauch lässt ein wildes Etwas, ein selbstsüchtiges Ding, dem Prinzipien egal sind, dem es nur darum geht, jede ihrer Begierden zu befriedigen, ihre Füße am Boden festfrieren. Erinnert sie daran, dass es doch bloß ein Stück Stoff ist. Macht ihr ein fieberhaftes körperliches Verlangen nach Cameron bewusst.
    Als Cameron die Tür öffnet, sagt sie: »Mehr ist nicht drin.«
    Er schließt sie in die Arme, küsst sie auf die Wange. »Ich hab gewusst, dass du mich nicht im Stich lässt.«
    »Wie hätte ich da Nein sagen können?«, fragt sie und schiebt sich an ihm vorbei, während sie ihm die orangefarbene Schachtel, leer bis auf den Kassenbeleg, gegen die Brust drückt. »Sieh doch nur, was für ein hübsches Kopftuch du mir gekauft hast.«
    Ehe du fragst, muss ich erklären, dass die Leute in Amerika nicht mit Bargeld einkaufen. Sie haben Karten, auf denen jeder Kauf registriert wird, und später bezahlen sie dann alles auf einmal. Also hat Mahtab noch nicht richtig bezahlt, und Cameron erstattet ihre Auslagen diskret, indem er Geld in ihre Handtasche schiebt. Es ist alles sehr dezent, sehr scheinheilig. Auf diese Weise hinterfragt niemand, was er soeben gekauft hat.
    »Seltsame Zustände. Was hast du gesagt, wohin das Geld geht?«
    Das erklär ich später. Aber jetzt fahren wir erst mal nach New York.
    Und ja, Khanom Omidi, ich weiß, dass das blau-violette Kopftuch genauso aussieht wie das von Khanom Basir. Das liegt daran, dass auch das ein unrechtes Kopftuch ist – eines, das sie nicht verdient.
    Wie Mahtab erwartet hat, sind die Aryanpurs reich und protzig, wie das nur amerikanische Iraner sein können – so wie Babas Cousins waren, wenn sie den Sommer im Shomal verbrachten. Sie begrüßen sie überschwänglich, loben ihre feine Gratwanderung zwischen Schicklichkeit und Modegeschmack. Sie küssen ihren Sohn auf beide Wangen, und Mr Aryanpur wirft einen missbilligenden Blick auf Camerons Hemd. »Knopf zu«, knurrt er und starrt auf die

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