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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Lied, nimmt Sabas Gesicht in beide Hände und neigt es zu sich. »Ich weiß, dass man dir wehgetan hat«, sagt sie mit ruhigem Ernst. »Aber die Ehe ist eine unaufgeschnittene Wassermelone. Du kannst nicht hineinsehen, ehe du dich entscheidest.«
    Saba stößt ein Schnauben aus. »Das ist eine Redensart für naive Mädchen. Sie deckt längst nicht
alles
ab.«
    »Mag sein«, sagt Khanom Omidi und beginnt wieder, sich zu wiegen und zu summen. »Saba-dschan, erzähl mir doch, was passiert ist.« Nach einer langen Stille flüstert sie fast wie zu sich selbst: »Das Gute an alten Menschen ist, dass sie sterben. Bald sterben wir alle.«
    Saba umschlingt Khanom Omidis Taille mit beiden Armen. Sie merkt, dass die alte Frau Schuldgefühle hat, weil sie die Ehe befürwortet hatte. »Du darfst niemals sterben. Ich lass dich nicht.«
    Khanom Omidi macht einen schnalzenden Laut mit der Zunge und kneift Saba ins Kinn. Saba denkt ans Sterben, an Blut und daran, dass den Theorien ihrer Mutter über Schicksal und DNA zufolge alles genauso gekommen wäre, selbst wenn sie jetzt in Amerika leben würde. Das gesamte Schicksal ist im Blut festgelegt. Also was macht Mahtab jetzt, die ja genau das gleiche Blut hat wie sie? In letzter Zeit hat Saba wieder ihre englischen Wörterlisten geübt, nur für den Fall, dass ihre Mutter sie eines Tages hören will. »Ich vermisse Khanom Mansuri«, sagt sie leise. »Sie wollte immer so gern Geschichten über Mahtab in Amerika hören.«
    »Das sieht ihr ähnlich.« Khanom Omidi streicht ein paar Haare aus Sabas Gesicht. »Du kannst
mir
eine erzählen, wenn du möchtest.«
    »Vielleicht bin ich inzwischen zu alt für solche Spielchen«, sagt Saba.
    »Nicht doch. Wenn ein Mensch zu alt für Geschichten wird, kann er sich gleich begraben lassen. Mit Geschichtenerzählen finden wir zu den Menschen zurück, die weit weg von uns sind.« Khanom Omidi hievt sich von dem kleinen Teppich hoch, den sie am liebsten mag, und holt Saba ein kleines Glas mit einer klaren Flüssigkeit aus der Vorratskammer. »Trink das«, sagt sie. »Wir verraten’s keinem.«
    Saba schiebt den Kopf in die Lücke zwischen Khanom Omidis dickem Arm und ihrem weichen, behaglichen Schoß und blickt hoch. Sie kann die schielenden Augen der alten Frau sehen und empfindet noch tiefere Zuneigung zu ihr. »Okay, Khanom Omidi«, sagt sie. »Ich werde dir die Geschichte meiner Ehe erzählen … aber auf meine Weise. Weil es ein Geheimnis ist, musst du dich mit Mahtabs Version begnügen. Sie ist mein Zwilling, und ihr Schicksal folgt in gewisser Weise immer meinem. Ich glaube, diese Geschichte wird dir besonders gefallen, weil es darin um
maast-mali
geht und um etwas anderes, was du besser kannst als alle … nämlich von grausamen Männern Joghurtgeld zu bekommen und zu behalten.«
    * * *
    Jede Geschichte muss eine Au f lösung haben, und wie in einer Fernsehserie muss jede Au f lösung einem Thema entsprechen – Einwanderersorgen sind die Wegweiser in Mahtabs Leben. Diese Geschichte handelt von Geld. Das kannst du gut nachvollziehen, was? Man muss nicht an ferne Orte reisen, um zu verstehen, dass Einwanderer Geldsorgen haben, weil ihr eigener Reichtum aus einem anderen Land verloren ist. Die Geschichte handelt auch von einem Dilemma. Soll sie es nehmen, fragt sie sich, dieses Geld, das einem reichen persischen Mann mit einem angeschlagenen Ego gehört, der Angst um seinen Ruf hat?
    In ihrem dritten Studienjahr fragt Mahtab sich allmählich, was sie aus ihrem Leben machen soll. Sie will Journalistin werden, Geschichtenerzählerin für eine angesehene Zeitschrift – das haben wir uns als Kinder beide gewünscht. Also fährt sie zu Bewerbungsgesprächen nach Boston und New York, trägt schwarze Hosenanzüge mit farbenfrohen Blusen und verspielte Futteralkleider, die unter strengen Wollkragen hervorlugen. Sie lässt sich die Nägel französisch maniküren, Strähnchen ins Haar machen und wartet darauf, dass jemand ihr einen Platz in der Welt anbietet. In den Foyers von Verlagsriesen sitzt sie zusammen mit ähnlich gekleideten jungen Männern und Frauen, alle in Schwarz. Krähen in der Warteschlange.
    Seit James hat sie keine Zeit mehr für Männer oder Beziehungen gehabt. Sie verbringt ihre Abende damit, Bücher zu lesen und Eintrittskarten in einem Kino zu verkaufen, um sich ein wenig dazuzuverdienen.
    Es ist Mittagszeit. Mahtab und Clara, aus den Abgebrochener-Absatz-Tagen, sitzen vor Harvards berühmter Widener Library auf dem Rasen und essen

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