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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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amerikanische Kind ausländischer Eltern analysiert und kategorisiert Cameron sein Volk gern, bis er das Gefühl hat, die Rätsel gelöst zu haben. Mahtab beobachtet das mit einer traurigen Empathie.
    Du weißt das vielleicht nicht, Khanom Omidi, aber genau wie wir empfinden auch amerikanische Perser den Verlust des alten Iran, des schönen Iran, des Iran, der voller Romantik war. Vielleicht ist Amerika für sie leer, deshalb machen sie den Iran zu einem Himmel, der nicht mehr besteht. Wie Agha Thomas Wolfe in seinem Buch schreibt, das ich gerade von dem Teheraner gekauft habe: »Du kannst nicht wieder nach Hause.« Das Zuhause ist nicht mehr dasselbe. Mahtab und Cameron wissen das. Selbst ich, die ich nie fort war, weiß das. Ich sehe, wie sich mein Zuhause verändert. Jeden Monat lese ich von dem gespenstischen Elend jener ach so glücklichen Einwanderer in Briefen entfernter Verwandter. Es sind ruhelose Menschen, und sie ziehen sich gegenseitig an wie verirrte Straßenköter, die sich am Geruch erkennen.
    »Sei nicht so respektlos gegenüber deinen Vorfahren«, sagt Cameron eines Tages, als Mahtab auf Reis verzichtet, weil eines ihrer Kleider keine Sünde verzeiht. »Du kannst nicht einfach so nach Lust und Laune ein tausend Jahre altes Gericht abändern. Es müsste Regeln dafür geben, wie
echte
Perser leben, egal wo.« Er lächelt Mahtab an, und seine blendend weißen Zähne werden durch das glänzend schwarze, lange Künstlerhaar betont, das eigentlich weder zu seiner modischen Kleidung noch zu dem gepflegten, eindeutig unislamisch gestutzten Dreitagebart passt.
    »Reza hat so einen Dreitagebart. Sieht dieser Cameron auch so aus? Wie Reza?«
    Aber nein, selbst Reza hat nicht solche Illustriertenzähne. Die kriegt man in Amerika zusammen mit einem hochtrabenden Diplom. Ein paar Brücken führen aus diesem Dorf, die wir niemals überqueren werden, Khanom Omidi. Aber Mahtab kann es. Auch sie hat weiße, gleichmäßige Zähne, die ihr von Zahnärzten gerichtet wurden, als sie zwölf oder dreizehn war. Und sie hat diese perfekte postoperative Nase. Die beiden sind ein Bilderbuchpaar – von der Natur ausgewählt, wie Zwillinge.
    Mahtabs reicher Iraner ist so ganz anders als mein alter, tattriger.
    Camerons Bemerkung führt zu einer Analyse jedes Gerichts, jedes alten Brauchs und Rituals. Ist das eine feste Regel? Ist das wirklich persisch oder nur arabisch? Macht man das im Süden nicht anders? An einem Abend erstellen sie eine Liste von Geboten, notieren sie auf der Rückseite einer alten Geschichtsklausur. Sie versuchen, Farsi zu schreiben, aber sie haben vergessen, wie man die längeren Wörter buchstabiert, und stümpern auf dem Niveau von Viertklässlern herum, bis sie doch ins Englische wechseln. Sie lachen unbeschwert über sich selbst, und keinem von beiden macht es viel aus.
    Möchtest du das hören, Khanom Omidi? Mein Freund, der Teheraner, hat es mir bestätigt, und ich muss schon sagen, amerikanische Iraner haben eine eigenartige Vorstellung davon, was sie zu Persern macht. Das bringt mich ins Grübeln, ob meine Informationen über Amerika ebenso klischeehaft sind, denn in ihrem Bemühen, einen alten, vergessenen Iran zu finden, haben sie uns zu weichgespülten Musen in idyllischen Skizzen gemacht, zu Kriegern, wie sie in die Ruinen von Persepolis gemeißelt sind. Wir sind bloß noch dunstige Gestalten, die aus Gedichtbänden aufsteigen. Der Teheraner erzählt mir, dass aus denjenigen, die am längsten fort sind, heimwehkranke Jünger werden, die sogar den verdreckten
shalizar
-Arbeiter sehnsüchtig verehren … Auch Cameron und Mahtab vergeuden Stunden damit, ihre vermeintlichen Regeln aufzuschreiben:
    Um der persischen Authentizität willen bestelle eingelegten Knoblauch zum Abendessen. In einem westlichen Restaurant, in dem der Knoblauch nicht schon seit zehn Jahren in seinem Sud zieht, wähle Joghurt und rohe Zwiebeln oder rohe Radieschen, Minze und Basilikum als Beilage zum Essen. Appetithappen sind ein Produkt westlichen Unverstands, denn nur ein dekadenter Appetit muss erst geweckt werden. Iss mit einem Löffel, niemals mit Messer und Gabel, denn nur ein miserabler Koch lässt das Fleisch so zäh, dass man zu seinem Verzehr mehr benötigt als einen Löffel. Gib ein rohes Eigelb und Butter in deinen Reis, es sei denn, eine nahrhafte Soße wird dazu gereicht. Trink niemals nur zwei oder drei Tassen Tee, und iss zum Nachtisch irgendwas mit Honig. Ruh dich hinterher auf einem Berg aus Kissen aus –

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