Ein Teelöffel Land und Meer
hinterlässt. Als es Zeit ist, zu antworten – ein derartig erwartungsschwangerer Augenblick, dass die Stille am anderen Ende förmlich knistert vor Energie –, gibt sie die üblichen Hö f lichkeitsfloskeln von sich, äußert ihren Wunsch, die Dinge zu klären, und schlägt einen Termin in einigen Wochen vor, an dem man sich in Rasht treffen könnte. Der Anwalt ist nicht glücklich darüber, wiederholt zweimal, dass Abbas’ Bruder eine schnellere Abwicklung möchte, stimmt aber schließlich zu.
Trotz des gehetzten Gefühls, das Saba erfasst, als sie den Hörer au f legt, trotz der Tatsache, dass sie aus eigenem Interesse und purem Überlebenswillen so handeln muss, kann sie sich der schmerzlichen Überzeugung nicht erwehren, dass dieser Mann das Geld tatsächlich verdient hat, denn sie hat schließlich seinen Bruder sterben lassen, oder etwa nicht?
* * *
»Baba, ich brauch deine Hilfe«, flüstert Saba keine zehn Minuten nach ihrem Gespräch mit dem
dehati
-Anwalt ins Telefon. »Wer würde mein Land kaufen und bar bezahlen? In Dollar?«
»Gott, Saba-dschan. Was ist passiert? Steckst du in Schwierigkeiten?« Ihr Vater klingt, als hätte er geschlafen. Wahrscheinlicher ist, dass er mal wieder an der Pfeife war.
Saba erklärt ihm die Sache mit dem Halbbruder und dessen neuen Ansprüchen. Sie hört den Vater am anderen Ende fluchen und kann förmlich sehen, wie er den Kopf schüttelt, aufspringt, sich wieder hinsetzt. »Du kannst das Land nicht verkaufen.«
»Wieso nicht?«, fragt Saba.
»Weil doch kein Mensch so blöd ist. Wenn du versuchst, es zu verkaufen, noch dazu, wenn du die Hälfte von dem verlangst, was es wert ist, weiß der Käufer sofort, dass deine Eigentümerschaft fragwürdig ist.«
»Aber ich hab alle notwendigen Papiere.«
»Würdest du dich nicht auch wundern«, entgegnet ihr Vater, »wenn jemand dir so viel Land billig anbieten und dann auch noch eine schnelle Barzahlung verlangen würde? Hättest du keine Bedenken, dass der Staat es morgen übernehmen könnte und du dein schönes Geld los wärst?«
»Was kann ich machen?«, sagt sie und fragt sich, ob sie alles zurücklassen muss.
Ihr Vater wechselt in eine Art Telefoncode, ähnlich wie der, den er benutzt, wenn er Alkohol für ein Fest besorgen will. »Lass die Sache laufen, Saba-dschan. Die Gerichte werden fair entscheiden. Weißt du, was, ich hab vorhin deine viktorianische Puppe gefunden. Weißt du noch, die mit dem weiten Rock und den vielen Taschen? Vielleicht solltest du die mal richtig sauber machen.« Er will ihr damit sagen, dass sie ihre Bankkonten au f lösen soll.
»Was, wenn ich die Puppe nach Amerika schicke?«, fragt sie.
Einen Moment lang scheint er zu überlegen oder so zu tun, als hätte er es nicht gehört.
Dann sagt sie, und es ist ihr egal, wer mithört: »Ich will nach Amerika.«
Ihr Vater atmet schwer. »Red keinen Unsinn. Ich hab den Namen eines Mannes, der Milch in Butter verwandeln kann, ohne Fragen zu stellen. Butter ist überall gut zu gebrauchen und verdirbt nicht so schnell wie Milch.« Er meint, dass sie ihre Toman in Dollar umtauschen soll.
In den folgenden Wochen macht Saba viele Fehler. Sie will gerade alles Geld von ihren Konten abheben, als ihr einfällt, dass die für Visagenehmigungen zuständigen Konsularbeamten den Nachweis verlangen, dass sie Vermögen im Iran besitzt und zurückkommen wird. Sie hat beschlossen, erst mal nur ein Touristenvisum zu beantragen und dann eine Möglichkeit zum Bleiben zu suchen – vielleicht indem sie sich an einer Uni einschreibt. Mit zitternden Händen zerreißt sie in der Bank die Auszahlungsformulare, wohl wissend, dass sie beinahe alles verdorben hätte. Sie überlegt, wie groß ein Bankguthaben sein muss, um die Beamten zu überzeugen. Kann sie mehr abheben, nachdem das Visum ausgestellt wurde? Soll sie die Summen wieder einzahlen, die sie bereits abgehoben hat? Nein, beschließt sie. Sie wird sagen, dass das ihr Reisegeld ist. Sie bittet den Mann am Schalter stattdessen um eine Au f listung ihrer Kontostände. Was werden die Leute im Konsulat hören wollen? Die sind so vage und geheimnisvoll, was ihre Kriterien angeht, vermutlich damit die Leute nicht lügen. Es kommt ihr gefühlskalt vor, aber sie ist dankbar, dass sie Reza nie eine Vollmacht für ihre größeren Konten gegeben hat. Ihm ist das so egal, dass er nicht darum gebeten hat, und Khanom Basir schämt sich immerhin zu sehr, um darauf zu bestehen.
Sie bittet ihren Vater, alles zu tun, um die
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