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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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für sie weitergehen wird. »Ich werde jede Einzelheit von dir in meinem Gedächtnis bewahren, wie ein Gemälde.«
    Später sieht sie Reza Richtung Eingang verschwinden. Ein kalter Luftzug strömt herein, als er die Tür öffnet. Jetzt, da er sich entfernt, fällt ihr ein, wie er ihr Tee brachte, wenn sie zornig war, sie denkt an sein Gitarrenspiel und seine Träume, der Held des Dorfes zu sein. Bald wird er weit weg sein, und sie wird sich an ihre Erinnerungen an Hamam-Musik und Tage des vorgetäuschten Glücks halten müssen. Als er die Tür gerade schließen will, ruft sie ihm nach: »Ich brauche deine Erlaubnis, um den Iran zu verlassen.« Noch immer hofft sie irgendwie, dass er versuchen wird, sie davon abzubringen, oder mitkommen will.
    Aber er sagt bloß: »Alles, was du willst«, und Sabas salziges Rashti-Herz, der Teil von ihr, der zu Cheshmeh gehört und sich vor dem Fremden und Unbekannten fürchtet, muss sich anstrengen weiterzuschlagen.
    * * *
    Er hat mich gehen lassen.
Am frühen Abend fährt sie durch die Berge, allein. Es schmerzt ein wenig. Aber es war nicht alles Lüge. Reza hat versucht, sie zu lieben. Mit jedem Lied und jedem angeberischen Fußballkick vor ihrem Fenster hat er es versucht. Er wollte sie retten, sie für sich behalten. Die Zeilen von Khayyam kommen ihr wieder in den Sinn. Vielleicht kann sie Reza jetzt auf neue Art lieben. Es ist möglich, das Alte zu zerschlagen und das Schicksal nach ihrem eigenen Willen neu zu gestalten.
    Es ist nicht Rezas Schuld, denkt sie, oder die von Ponneh. Der Reza, den sie geheiratet hat, war ebenso sehr eine Schöpfung, eine Verzerrung der Realität wie die Mahtab in ihren Geschichten. Sie hat ihn erfunden, um ihr Leben hier leichter leben zu können. Er ist ein Trugbild, ein Phantom, ein Schattenspiel. Wir alle sind erfundene Wesen, denkt sie, eigens dafür entworfen, um unsere gegenseitigen Bedürfnisse zu erfüllen.
    Sie nimmt die Fahrt zur Berghütte kaum wahr. Weiß nicht mal, warum sie dorthin fährt, nur dass sie jetzt in zu düsterer Stimmung ist, um irgendwas anderes zu tun, und dass sie eine Mutter braucht. Sie überrascht sich selbst mit der Erkenntnis, dass ihre Traurigkeit nicht mit Ponneh und Reza zusammenhängt. Sie haben sich seit ihrer Kindheit auf diesen Punkt zubewegt. Sie ist eher wütend auf sich selbst, weil sie gewartet hat, weil sie sich anders als die Mahtab ihrer Fantasie nie zu mutigen Entscheidungen aufgerafft hat. Weil sie so viele Lügen geglaubt hat. Wie viele Lügen hat sie sich selbst im Laufe der Jahre erzählt?
    Der Wagen arbeitet sich den Berg hinauf, und winterliche Kälte dringt herein. Sie parkt unweit des Steilhangs und betrachtet die Landschaft, ehe sie aussteigt. Doch sobald sie sich der Hütte nähert, wird ihr klar, dass es ein Fehler war, ein Rückschritt, an diesen vertrauten Ort zu kommen. Jedes Detail hier erinnert sie an das Leben, das sie zurücklässt. Der Waldgeruch und ein Feuer und Winterkälte. Das Geräusch des nächtlichen Meeres, das an den Strand rauscht. Der kalte, raue Türknauf in ihrer Hand. Hier hat sie erstmals Liebe gefunden, hier haben sie und Reza ihre ersten gemeinsamen Nächte verbracht. Eine Flut von Erinnerungen überwältigt sie. Sie wendet sich zurück zum Wagen und will gerade einsteigen, als die Tür der Hütte aufgeht.
    Dr. Zohreh ruft nach ihr. »Saba-dschan, was ist passiert?«
    Die Besorgnis in der Stimme der alten Freundin ihrer Mutter beschämt sie. Als die Ärztin näher kommt, atmet Saba tief durch, reißt sich zusammen. »Nichts«, sagt sie. »Ich war nur ein bisschen sentimental.« Sie ringt sich für die Ärztin ein Lächeln ab, um sie zu beruhigen, und verabschiedet sich, ehe Dr. Zohreh sie auffordern kann, doch hereinzukommen. Sie fährt den Berg hinunter zum Wasser, denkt an längst vergangene Zeiten, als sie und ihre Familie über diese Bergstraße fuhren, um im Kaspischen Meer zu baden. Wie lang ist es her, seit sie einen Fuß ins Meer getaucht hat? Im Laufe der Jahre hat sie sich immer näher herangewagt, hatte aber zu viel Angst vor dem letzten Schritt. Und jetzt? Wer weiß, wann sie es je wiedersehen wird?
    Sie parkt in Strandnähe, geht auf die Pfahlhäuser im Wasser und die Fischerhütte am Ende des Piers zu. Der dunkler werdende Horizont wird hier und dort von Schneeflächen durchbrochen. Sie sieht keine Möwen, aber in der Ferne erklingt irgendein Vogelruf. Sie geht an dem mal ruhigen, mal tosenden Meer entlang. Der leichte Sprühnebel aus

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