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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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erzählte. Sie bot Reza eine Kassette mit Songs an, und er wollte sie nicht annehmen, ohne dafür zu bezahlen. Sie ist überzeugt, dass er sich heute genauso verhalten würde. Er ist ein Mann von Ehre. Es war nie die Gesellschaftsschicht oder das Geld, was zwischen ihnen stand; dessen ist sie sich endlich sicher. Jetzt kommt ihr eine weitere Erinnerung an den Tag, als sie ihren Freunden den Unterschied zwischen altem, geerbtem Geld und neuem, verdientem Geld erklärte. Sie schmunzelt über ihre kindliche Logik, denn ist es nicht letzten Endes alles dasselbe? Sie sollte es ihnen geben. Wozu ist Geld gut, wenn nicht, um lieben Freunden den Weg zu erleichtern? Sie werden es brauchen, wenn sie fort ist.
    Sie streckt sich auf der Bank aus, schließt die Augen und träufelt sich mit einem Schwamm warmes Wasser auf den Bauch. Sie denkt an die Lieblingsverse ihres Vaters aus Khayyams
Rubaiyat
und sagt sie laut auf, während sie sich einen Becher warmes Wasser über den Kopf gießt.
    Ach, Liebe, lass uns vereint mit dem Geschicke walten,
    Das Erdenrund in unseren Händen halten,
    Lass uns die Welt zertrümmern und zerschlagen,
    Und sie nach Herzenslust gestalten.
    Kurz darauf kommt Reza herein. Er hat die ramponierte Gitarre dabei, die ihr Vater im Wohnzimmerschrank aufbewahrte und auf der Reza früher spielte, um den Klang mit seiner
setar
zu vergleichen. Die Gitarre ist mittlerweile alt und verstimmt, und sie haben sich angewöhnt, sie mit in den Hamam zu nehmen. Sie wissen, dass der Dampf ihr eines Tages den Garaus machen wird, dass das Holz sich davon verzieht und die Saiten rosten, aber es macht ihnen Spaß, sie auf diese genussvolle Art bis zuletzt zu nutzen. Reza zieht sich aus und gesellt sich zu ihr auf die Bank, bringt die Gitarre und einen Teller mit Zitronenscheiben mit. Er stellt den Teller neben ihr ab und blickt sie erwartungsvoll an.
    »Ich hab die Kassette auf dem Boden liegen sehen«, flüstert er. Sie schüttelt den Kopf, damit er nicht weiterredet.
    Er zupft ein paar Noten, den Anfang von einem ihrer Lieblingslieder, als sie von der Bank aufsteht. Er beobachtet sie, wie sie ihr langes Haar auf den Rücken wirft, der Nebel ihren sündigen, zügellosen Witwenkörper einhüllt. Sein Gitarrenspiel ist altertümlich. Er benutzt nur zwei Finger, sodass die Noten klar und deutlich klingen wie
setar
-Musik und jede einzeln durch den Hamam hallt. Er spielt »Fast Car« inzwischen wunderschön, in einer näselnden iranischen Version, und kürzlich hat er »Stairway to Heaven« gelernt, weil sie es einmal erwähnt und ihm eine Aufnahme vorgespielt hat. Sie sieht durch den Dampf und das Wasser hindurch, dass er sie betrachtet, und sie fragt sich, ob er wohl an ihre Verletzungen denkt. Kann er auch all das sehen, zu dem sie noch fähig ist, ihr zukünftiges Erbe?
    Sie denkt an ihre schönsten Zeiten zurück, an die Tage, die sie in diesem Hamam begannen, wenn er die Gitarre beiseitelegte und Saba auf die Bank zog und sie beide die frühen Morgenstunden – die Zeit, in der nur Dschinn baden – von Nebel umhüllt verbrachten und jene ersten unsicheren Besuche in der Holzhütte nachlebten, als sie beschlossen, nicht mehr an tote Ehemänner und Basidschs und Ponneh und aufdringliche Mütter zu denken und etwas Verbotenes und Köstliches zu erkunden. An besonders guten Tagen konnten sie Stunden so verbringen, ehe irgendein verborgener Kummer sich zurückmeldete und Saba Reza aus ihrer Welt vertrieb. Können sie jetzt noch einen letzten solchen Tag erleben, gleichsam zum Abschied? Manche Dinge kann man unmöglich loslassen. Ein Hamam an einem Berghang mit seinem weichen Licht und den schemenhaften Halbfiguren, die sich wie Geister durch den Dampf bewegen, ist ein Ort der Erholung, der schönen Erinnerungen. Doch manchmal fällt das Licht aus einem kleinen Fenster auf die wässrige Luft über den Badenden, beleuchtet die Staubpartikel, die sie umschweben wie Wolken. Dann kann man auch die härteren, unschönen Ecken und Winkel erkennen.
    »Ich finde, wir haben das mit der Ehe gar nicht so schlecht gemacht«, sagt sie, »alles in allem …«
    Sie erzählt ihm, dass sie fortwill, aber nicht wegen der Kassette oder wegen irgendetwas, das er getan hat. Er sagt ihr, dass seine Liebe zu ihr nie gelogen war, bedauert, dass sie nicht gereicht hat, auf schicksalhafte Art, wie in einem ihrer Bücher. Er zieht sie an sich, ihr Haar tropft an seiner Brust. »Meine übersehene Schöne«, flüstert er, denn jetzt wissen beide, wie es

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