Ein Teelöffel Land und Meer
beobachteten.
»Wo ist Mahtab?«, fragte Saba wieder. »Kommt sie nicht mit?«
Was muss das für ein Moment gewesen sein. Ich hörte das alles später von ihnen, stückchenweise.
Bahareh weinte lautlos. »Sie trifft uns dort«, erklärte sie ihrer Tochter.
»Mit wem kommt sie denn hin?«, fragte Saba.
»Khanom Basir fährt sie«, antwortete Bahareh. Was für ein Unheil, mich in diesen Familienfluch mit hineinzuziehen!
Dann gab Agha Hafezi seiner Frau eine Reihe von Anweisungen: wen sie aufsuchen sollte, sobald sie in Kalifornien war, wie sie sich gegenüber den
pasdars
verhalten sollte, welche Dokumente sie griffbereit haben musste und so weiter. Seine Frau weinte noch immer, also legte er Musik auf, und sie fuhren schweigend zum Flughafen, jeder von ihnen einer anderen vorgestellten Zukunft entgegen. Keiner von ihnen ahnte, dass das kleine Mädchen auf der Rückbank alles verderben könnte. Dass du ein Mädchen mit tausend Dschinn nicht anlügen kannst. Aber es war nicht die Schuld der Hafezis. Sie versuchten nur, einfache Antworten, knappe Antworten auf die viel zu großen, viel zu verwirrenden Fragen des Lebens zu geben.
Jedenfalls, um es kurz zu machen: Am Flughafen entdeckte Saba Mahtab.
Kapitel Neunzehn
Spätherbst 1992
N och ehe Saba sich die Kassette zu Ende angehört hat, legt sich eine seltsame, unerwartete Ruhe über sie. Sie hat es immer gewusst. Nichts hat sich geändert. Ihre Entscheidung ist gefallen, und in Cheshmeh gibt es keine Zukunft mehr für sie. Ach, aber eine Nebendarstellerin in der Liebesgeschichte eines anderen zu sein. Der Schmerz ist schwer erträglich – ist es schon immer gewesen. Sie lässt den Walkman auf den Boden fallen und geht blicklos in ihren privaten Hamam, wobei ihr der Gedanke kommt, dass amerikanische Badezimmer weniger komfortabel sind. Sie legt ihre Kleidung ab, wickelt sich in ein Handtuch und dreht die beiden Duschköpfe in den gegenüberliegenden Ecken auf. Von der Bank an der Wand aus sieht sie zu, wie sich der Raum mit Dampf füllt. Ihre Gedanken gleiten zurück zu der Kassette. Sie ist vom Herbst 1991, also kurz bevor Reza damals zu ihr kam, und sie ist offensichtlich für Ponneh gedacht. Aber er hat sie ihr nie gegeben. Oder Ponneh hat sie ihm zurückgeschickt. Hat er zuerst ihr einen Heiratsantrag gemacht? Offenbar ja. Bestimmt haben sie sich deshalb vor der Hochzeit so seltsam benommen. Doch statt zornig zu werden, empfindet Saba Mitleid mit ihrem Mann. Warum hat Ponneh abgelehnt? Weil sie ihn nicht liebte? Weil sie die Sicherheit ihrer Dreisamkeit bewahren wollte? Oder wegen der Bedingungen ihrer Mutter? Damals lebte Ponnehs Schwester noch. Während der Dampf sie langsam entspannt, grübelt sie über all diese Möglichkeiten nach, doch schließlich stellt sie sich die Frage: Ist das wirklich wichtig? Nein, antwortet sie, ist es nicht – eine tröstliche Erkenntnis, jetzt, da sie sich ihrer so sicher ist.
Sie denkt daran, was alles passiert ist zwischen dem Datum auf der Kassette und jetzt. Vor der Heirat, im Hof von Khanom Alborz, als Reza Ponneh angestarrt hat, schon da wusste Saba es. Er hat Ponneh damals geliebt. Und doch hat er sich abgewendet und ist die Ehe mit Saba eingegangen. Was für eine seltsame Vorstellung von Treue. Wenn er nur hätte verstehen können, dass Saba keinen Schutz brauchte, dass seine Fürsorge nicht gut für sie war, sondern sie eingesperrt hat, weil sie ihr einen Grund lieferte, feige zu sein.
Wir drei für immer
, das haben sie sich seit der Kindheit gegenseitig versichert, und es hat sich als wahr erwiesen. Ponneh ist da gewesen, als Saba zum ersten Mal heiratete, als Abbas starb und bei jedem anderen Wendepunkt ihres Lebens. Reza erkundigte sich täglich auf dem Markt und bei ihrem Vater zu Hause nach ihr und kam sie besuchen, sooft er konnte. Für ihn musste ihre jahrelange treue Freundschaft ganz natürlich dazu führen, dass er entweder die eine oder die andere heiratete – wie die Geschichte in
Zane Ruz
, die sie als Vierzehnjährige mit Khanom Mansuri gelesen hatten.
Aber wie könnte Saba sich anmaßen, Rezas Entscheidung und seine Vorstellung von Treue zu verurteilen? Sie wurde von denselben Müttern großgezogen und sehnte sich danach, Teil seiner Welt zu sein, ehe sie erkannte, dass sie in Mahtabs Welt gehörte. Für einen kurzen Moment denkt sie an das Geld. War das sein Grund, sie zu heiraten? Sie erinnert sich an den Tag, als sie Reza und Ponneh in einer Gasse hinter dem Postamt eine Mahtab-Geschichte
Weitere Kostenlose Bücher