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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Gast-
bazi
«, sagt sie. »Das vertrag ich heute nicht.« Ponneh lacht und nimmt Sabas Arm, weil sie gern daran erinnert wird, dass sie hier keine Einladung braucht. Seit Jahren geht sie nach Lust und Laune ein und aus und ist sogar schon nachts durchs Fenster eingestiegen, um dann zusammen mit Saba den Kühlschrank zu plündern.
    Reza, der verlegen und gereizt wirkt, schlendert zurück ins Wohnzimmer. Wahrscheinlich hat er schon vergessen, welchen Impuls sie in ihm ausgelöst hat.
    »Was war das eben?«, flüstert Ponneh, den Mund fast an Sabas Ohr.
    »Keine Ahnung. Was denn?« Saba zuckt die Achseln. »Weißt du, was? Ich hab uns Neutrogena besorgt!« Ponneh kommt nur dann an amerikanische Produkte, wenn Saba ihr welche schenkt, nicht nur, weil sie arm ist, sondern auch, weil ihre verwitwete Mutter anscheinend gern leidet. Khanom Alborz ist immer nett zu Saba gewesen. Aber sie ist auf eine schon fast groteske Art in Traditionen erstarrt. Sie bekämpft ihre Angst vor dem Unbekannten, indem sie für ihre fünf Töchter, einschließlich der kranken, bettlägerigen, willkürliche Regeln aufstellt. Falls sie bei Ponneh irgendein unverdientes Luxusgut finden würde, würde sie es ihrer ältesten Tochter geben.
    Wieder zurück am
sofreh
, legt Saba den Kopf an Khanom Omidis Schulter, und die alte Frau zieht sie näher an sich heran. Sie versucht, den schweinsäugigen Blick ihres schwerfälligen und übereifrigen Cousins Kasem zu meiden, der anscheinend durch die Hintertür hereingekommen ist. Während sie eine Tasse Tee an die Lippen führt, hört Saba mehr von Mullah Alis Weisheiten. Es scheint, als hätte der Mullah zu oft an der Pfeife gezogen, vielleicht sogar Alkohol getrunken. Den lehnt er normalerweise ab, außer er ist allein mit Agha Hafezi oder bekommt seinen Drink »aus Versehen«, ohne seine Einwilligung.
Wer versteckt denn diesmal die Flasche?
Saba schaut sich um. Unter Khanom Omidis Rock ist etwas Hartes. Als sie versucht, es zu berühren, schlägt die alte Frau ihr auf die Finger. Der Mullah blickt ihren Vater kopfschüttelnd an. »Ich meine nicht ihr junges Alter. Ich meine ihren Verstand.« Er tippt sich an die Stirn. »Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass Frauen, die nicht ausgelastet sind … körperlich … ungesunde Ideen entwickeln. Das ist hinreichend belegt … und dann, selbst wenn man versucht, sie zu verheiraten, zeigen sie ihren Männern einfach keinen Respekt. Sie zweifeln an ihnen und nörgeln …«
    Khanom Basir seufzt dramatisch. »Meine Güte.«
    »Was ist mit Kasem?«, nuschelt Mullah Ali und tätschelt Kasem den dicken Hals, als müssten alle seinen Gedanken gefolgt sein. »Ein feiner Junge.
Den
sollte Saba heiraten.«
    Saba setzt sich auf. Sie platzt heraus: »Aber er ist doch mein Cousin!« An der Seite des Mullahs blickt Kasem zu Boden und lächelt, während ein tiefes, weibliches Rot sein Gesicht überzieht.
    Vomit! 
– Zum Kotzen!
    Kasem ist kleiner als Saba, mit eigenartigen Proportionen. Er ist nicht direkt übergewichtig, aber er hat ein erstaunlich hervorstehendes Hinterteil. Er sieht weich aus – am ganzen Körper und im Gesicht. Saba stellt sich sogar seine Knochen ein bisschen weich vor.
    »Jetzt lass mal die Männer sprechen, Kind.« Mullah Ali schließt die Augen und spricht leise, fast matt mit Saba, als wäre er es leid, sich ständig wiederholen zu müssen.
    »Sie können von Glück sagen, dass Ihre Tochter nicht in England oder Amerika war«, wirft der andere Mullah ein. »Das wäre ein Fluch gewesen. Amerika hätte sie verdorben.«
    Wieder stellt Saba sich Mahtabs Leben in Amerika vor, ein weniger angepasstes Erwachsenwerden. Ist sie glücklich dort? Hat sie sich in einen quirligen Amerikaner verliebt? Auf jeden Fall hat sie bestimmt eine viel größere Auswahl an Männern. In Cheshmeh wird zwar dauernd von Ehe und Hochzeit geredet, aber durch den Krieg mit dem Irak gibt es nur noch wenige Männer in ihrem Alter – und keinen wie Reza.
    »Er ist ihr Cousin«, sagt ihr Vater mit Nachdruck. »Sie kann doch nicht ihren Cousin heiraten.«
    »Der Junge ist mein Schüler. Eine gute Wahl. Und Sie wissen, dass Gott und die Himmel die Verbindung von Cousins und Cousinen gutheißen.« Mullah Ali setzt sich gekränkt auf, fest entschlossen, diese Diskussion zu gewinnen.
    Saba sieht ihrem Vater an, dass er gereizt ist, dass er etwas über Genetik und Chromosomen sagen möchte. Aber wie die gebildeten Westler, die er bewundert, hält er den Mund. Sie weiß, dass er

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